Kreis Germersheim Grünen-Vorsitzender Habeck dankt Kandelern für Zivilcourage

Zuhören wollte Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, gestern den Kandelern. Auf seiner Sommertour verbrachte er den Nachmittag im Kultursaal der Stadthalle. Dort wollten etwa 80 Besucher, Frauen und Männer jeden Alters, vor allem eines: reden. Robert Habeck erfuhr viel über den Alltag mit rechten Demonstrationen und darüber, dass es nicht leicht ist, einen gemeinsamen Widerstand zu organisieren. „Kandel ist wichtig geworden“, sagt Habeck, der den Stopp in der Bienwaldstadt selbst angesetzt hat. Seit dem Mord an einer 15-Jährigen durch ihren afghanischen Ex-Freund und den folgenden Demonstrationen bündelten sich hier wie in einem Brennglas die Debatten der Republik. „Einigkeit und Recht und Freiheit werden in Deutschland derzeit getestet“, sagt er mit Blick auf den Titel der Sommertour. Diese heißt in Anlehnung an die erste Strophe der Nationalhymne „Des Glückes Unterpfand“.„Danke, dass sie so viel Zivilcourage aufbringen“, sagt Habeck.
Habeck will keinen Vortrag halten, sondern lieber den Kandelern zuhören
Und er stellt Fragen: Wie fühlt es sich im Moment an, in Kandel zu leben? Wie geht man mit Drohungen um? „Es gibt viel zu lernen für mich.“ Zunächst gibt es einen kurzen Blick auf die Entstehung von „Wir sind Kandel“ von Jutta Wegmann. Die grüne Kreisbeigeordnete ist Mitbegründerin des Bürgerbündnisses, das seit Mitte Februar mit Demonstrationen und Vorträgen dagegen hält. „Wir wollen mit allen zusammenarbeiten, die gegen die rechte Invasion auf die Straße gehen“, sagt sie.
Doch eine gemeinsame Linie zu finden, ist nicht so einfach - das wird in den eineinhalb Stunden schnell klar. Habeck ist mit dem Mikrofon im Saal unterwegs. Viele Bürger wollen berichten, fordern, kritisieren. So gibt es viel Lob für die Unterstützung durch die Bürgermeister, aber gleichzeitig Kritik an der Zurückhaltung des Stadtrats. Es gebe geradezu „eine Antifa-Hysterie“ im Rat, sagt eine Frau. Man müsse sehr viel aufklären, das brauche viel Geduld.
Der Kandeler Widerstand reicht von der strickenden Oma bis zur Antifa
Zarte Brüche werden sichtbar, es gibt nicht nur das Bürgerbündnis: Eine Vertreterin von „Kandel gegen rechts“ berichtete von Aktionen ihrer Gruppierung an Demo-Samstagen. Auch die Antifa meldet sich: Vergangene Woche sei es erstmals gelungen, den Demo-Zug des Frauenbündnisses umzuleiten, „weil wir nicht weg sind“, freut sich ein junger Lingenfelder.
„Wir müssen alle an einem Strang ziehen und uns nicht gegenseitig belächeln“, fordert eine junge Frau. Aus Protest strickende Seniorinnen hätten ebenfalls ihre Berechtigung. Habeck nickt, hakt nach, berichtet von eigenen Demo-Erfahrungen. Immer wieder betont er, dass man andere Differenzen für das gemeinsame Ziel beiseite schieben müsse.
Angst, nachts auf die Straße zu gehen, hätten sie in Kandel nicht - das versichern mehrere Zuhörerinnen Habeck, als er sich vorsichtig nach dem Sicherheitsgefühl nach dem Mord erkundigt. Hausaufgaben geben ihm vor allem die Flüchtlingshelfer mit: Die Integration über den Arbeitsmarkt sollte leichter werden, mehr Geld für die Kommunen fließen.
Die Kandeler würden noch lange diskutieren, doch Habeck muss zum Zug nach Flensburg. Gegenüber der RHEINPFALZ zeigt sich der Grünen-Vorsitzende beeindruckt vom Engagement der Kandeler und überrascht darüber, wie wenig Hemmungen sie hatten, offen in das Mikrofon zu sprechen.
Vor der Stadthalle wird derweil heftig diskutiert, wie es mit dem Protest in Kandel weitergehen soll.