Kreis Germersheim Eine Familie und ihr Jahrhundert

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Hagenbach. Als Ende Dezember 2016 überraschend der „Samstags-Marktstand Wollny“ in der Ludwigstraße in Hagenbach seine letzten Äpfel, Salatköpfe, Eier und Kartoffeln verkaufte, bedeutete dies für Hagenbachs Dorfmitte der Verlust einer weiteren Einkaufsmöglichkeit.

Endgültig ist damit auch das Handelsunternehmen Wollny beendet, an dessen 111-jähriger Geschichte all die weitreichen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft gespiegelt sind, bis hin zum derzeitigen deutlichen Wandel des Einkaufsverhaltens der Verbraucher. Nicht zuletzt steht dahinter auch die ermutigende Botschaft des Firmengründers, dass Wagemut und Fleiß im Leben belohnt werden, verbunden mit einer „interessante Familiensaga“, „die aber mit der gleichnamigen Serie auf RTL definitiv nichts zu tun hat“, wie Roland Wollny schmunzelnd feststellt, der die Geschichte seiner Familie erzählt. Es war sein Opa Jakob Wollny, den es 1897 aus purer Armut aus dem idyllischen Bechtolsheim in Rheinhessen „in die Fremde“ getrieben hat, nachdem er als ungelernter Sohn eines Nebenerwerbslandwirtes keine Perspektive sah. Er verdingte sich zunächst als Hausbursche, später als kaufmännischer Angestellter in einer Mainzer Kolonialwarenhandlung, und später als Abteilungsleiter bei der Firma Scharff in Landau, mit einem beachtlichen Gehalt von 80 Mark, so dass er endlich auch das Hochzeitsversprechen an seine Klara einhalten konnte. Sie führte ab 1904 eine kleine Spezerei (Lebensmittel, Gewürze) in Queichheim, während Jakob sein Talent als Handlungsreisender entdeckte. Viele Touren bewältigte Jakob Wollny nach Möglichkeit mit der Bahn, oft musste er weite Wege zu Fuß gehen, bis er mit einem Fahrrad und später einem Motorrad wesentlich mobiler wurde. Am 1. April 1905 siedelten Jakob und Klara mit ihrer Tochter Lina nach Hagenbach um, wo sie das Eckhaus Maximilian-, Stadtgrabengasse gekauft und in der ehemaligen Schmiede einen Verkaufsraum eingerichtet hatten. Das Geschäft florierte, ein erster Lehrling wurde eingestellt, Bruder Peter konnte mit ins Geschäft einsteigen, während Jakob weiterhin als Reisender u.a. von Hamburg über Metz bis München unterwegs war und vielseitige Geschäftskontakte knüpfte, wofür man ihn heute wohl als „Netzwerker“ preisen würde. So animierte er die Hagenbacher Bauern zum Zuckerrüben-Anbau und verschaffte ihnen gleichzeitig Absatzmöglichkeiten, nachdem er die Regionalvertretung der Frankenthaler Zuckerfabrik erlangt hatte. Außerdem stieg Jakob Wollny in die Zigarrenproduktion ein und begann in einer Dachkammer mit einigen Mitarbeitern Zigarren zu wickeln. Von Anfang an hat sich Jakob in die Dorfgemeinschaft integriert, zunächst als Sänger und Vorstand des „Liederkranz“, später Vorsitzender der Zentrums-Partei und Mitglied des Kirchenverwaltungsrats. Wie überall brachte auch für die Wollnys der Erste Weltkrieg Kummer in die Familie. Jakob musste 1916 „ins Feld“ ziehen, und als er 1918 auf Heimaturlaub aus Paris kam, war seine Frau Klara an ihrem 38. Geburtstag schwanger verstorben. Die große Geldentwertung, die nach dem Ersten Weltkrieg begann und ihren Höhepunkt 1923 mit wertlosen Milliardenscheinen erreichte, konnte Wollny nur dank seiner vollen Lager mit Tabak und Zigarren gut überstehen, dies war die neue Ersatz- und Tauschwährung. Auch in den Hungerjahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war es wieder der Tabak, mit dem man sich viele Wünsche erfüllen konnte, bis nach der Währungsreform die Menschen nach und nach wieder Geld hatten um einzukaufen. Und dann gab es „bei Wollnys“ nichts, was es nicht gab, erinnert sich Roland Wollny an jene Nachkriegszeit. Ob Nudeln, Soda, Waschpulver, Margarine oder Limburger Käse, Kaffee, Liköre oder Essig, alles gab es lose zu kaufen und musste abgefüllt werden. Man verkaufte Farben und Nägel für den Wiederaufbau, Leder, Bodenwachs, Holzschuhe, Schreibwaren und Textilien aller Art. Selbstverständlich war die Mitarbeit aller Familienmitglieder. Der gute Geschäftsverlauf ermunterte Jakob Wollny II zum großen Umbau des Kaufhauses und an einem zweiten Standort zur Eröffnung des ersten Selbstbedienungsladens der Südpfalz mit einem Vollsortiment mit 1500 Artikeln. Die zunächst guten Geschäftsergebnisse veränderten sich zunehmend negativ, als Anfang der 80er Jahre großflächige Märkte als Konkurrenz außerhalb der Ortszentren entstanden und die Verbraucher mobiler wurden. Zur Stabilisierung der Firma überließen die Familien-Gesellschafter Rolands Bruder Horst alleine das Unternehmen. Trotzdem musste zunächst das Kaufhaus und nach 2000 auch der Lebensmittelmarkt geschlossen werden, während einige Spezialitäten-Läden in verschiedenen Orten zunächst noch erfolgreich waren. Jetzt, Ende 2016 waren es noch die Frische der regionalen Waren und die freundliche persönliche Bedienung, die die treuen Kunden an den beiden Marktständen in Hagenbach und Neuburg schätzten. Die Aufgabe war besiegelt, als für den fast 80-jährigen Horst Wollny und seine Mitarbeiter nun die Arbeiten bei Wind und Wetter nicht mehr zu bewältigen waren.

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