Kreis Germersheim Ausgeplündert und vertrieben

Hagenbach. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs lebte in Hagenbach die achte Generation der Viehhändlerfamilie Elikann. Die älteste jüdische Familie des Ortes unterhielt enge verwandtschaftliche und geschäftliche Verbindungen zur übrigen Pfalz, nach Baden und ins Elsass. Prominente Sprösslinge waren der französische Ministerpräsident Leon Blum (1872-1950) und der US-Filmschaffende Larry Elikann (1923-2004).

Noch Mitte des 19. Jahrhunderts bildete dieser weitverzweigte Clan den Kern der jüdischen Kultusgemeinde Hagenbach. Ihr Niedergang begann mit der transatlantischen Auswanderung und dem Wegzug in die Städte. Im Industriezeitalter sank die Bedeutung des Zwischenhandels für den Vieh- und Fleischmarkt. Dank seines Branchenwissens und eines großen Kundenkreises wusste sich Maximilian Elikann aber zu behaupten. 1899 übernahm der 31-jährige Viehhändler das väterliche Geschäft und heiratete die 23-jährige Juliane Bär aus Rodalben. Ein wöchentlicher Umsatz von etwa acht Rindern sicherte dem Ehepaar und seinen bis 1912 geborenen fünf Kindern Margareta, Selma (genannt „Liesel“), Anna, Heinrich und Else „gute finanzielle Verhältnisse“. Die tiefgläubigen Elikanns besaßen in der Ludwigstraße 3 ein „gut bürgerlich eingerichtetes“ Fachwerkhaus samt Stallungen und Scheune. Zwischen 1909 und 1920 gehörte der langjährige Synagogenvorstand Max Elikann auch dem Gemeinderat sowie dem Armenpflegschaftsrat und der Ortsschulkommission an. Seit dem Frühjahr 1933 erhoben die herrschenden Nationalsozialisten ihren militanten Antisemitismus zur gern befolgten Staatsdoktrin. Ihn bekamen die Elikanns, die Eltern und vier noch zu Hause lebende erwachsene Kinder, bald zu spüren. Am 19. Juli 1933 beschlagnahmten die neuen Machthaber das Elikann anvertraute jüdische Kultusvermögen. Wochen später drohte der SA-Führer Eduard Gilb „Heinrich Elikann mit Einsperren“, laut Gendarmerie „ohne jeden sachlichen Grund“. Die wachsende Bedrohung, genährt von der NS-Hetze mit ihren allgegenwärtigen Hass- und Zerrbildern, zermürbte Hagenbachs Juden. Auf ihre wirtschaftliche Verdrängung zielten Maßnahmen wie Werbeverbot, Kaufboykott, steuerliche Benachteiligung, Handelsbeschränkung und erschwerter Warenbezug. Ende 1935 beschuldigten zwei „deutschblütige“ Viehgroßhändler aus Karlsruhe Max Elikann und seinen Schwager Arthur Blum, das „nationalsozialistische Aufbauprogramm“ durch „Preiswucherei“ zu sabotieren. Ein beliebter Vorwurf, um „artfremde“ Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Alle befragten Hagenbacher Fleischer blieben jedoch die Bestätigung schuldig. Einer, Josef Metz, entrüstete sich zeitgemäß: „Ich kaufe überhaupt kein Vieh von einem Juden, lieber schlachte ich nicht.“ „Rosenwirt“ Rudolf Jourdan gestand dagegen freimütig, „von Elikann schon einige Male Vieh gekauft“ zu haben. „Dass er mir für dieses besonders hohe Preise verlangte, könnte ich nicht sagen. Von jedem Bauer“, stichelte der frühere Sozialdemokrat, „wurde mir mindestens auch so viel verlangt.“ Selbst der ermittelnde Ortsgendarm Buchberger fand Elikanns Reingewinn „nicht zu hoch“. Der zweite Angriff war geschickter eingefädelt. 1936 verurteilte das Finanzamt Kandel die vermeintlichen Steuerhinterzieher Elikann zu 1800 und Blum zu 10.100 Reichsmark. Hämisch feierte die Regionalpresse das abnorme Strafmaß als „Quittung für auserwählte Blutsauger“, „jüdische Geldhyänen“ und „erbarmungslose Ausbeuter“. Im Dezember 1937 kam das endgültige Aus. Wegen angeblicher „Verfehlung im Handel“ entzog ihnen das Bezirksamt die Konzession. Das seit Herbst 1938 geltende Berufsverbot bedeutete den finanziellen Ruin. Fortan zehrten die Elikanns von privatem Vermögen und dem Erlös ihrer durch dreiste Preisdrückerei zwangsarisierten Liegenschaften. Die Repressionen des Jahres 1938 gipfelten im reichsweiten Novemberpogrom. Leben, Eigentum und Einrichtungen der Juden waren auch in Hagenbach schutzlos dem gewalt- und beutegierigen Mob preisgegeben. Nach der Verwüstung der Synagoge sollten auf Weisung der NSDAP-Kreisleitung am Spätnachmittag des 10. November alle Juden im Saal des Rathauses festgesetzt und dann abgeschoben werden. Dabei sorgten die SA, Westwallarbeiter und „normale“ Einwohner für „Ausschreitungen“ und „Plünderungen“. Der im Elikann-Anwesen zur Obermiete wohnende Invalide Josef Schmalenberger bemerkte gegen 17 Uhr Eindringlinge, die „mit der Zertrümmerung von Möbel und sonstigen Gegenständen begannen. Die Familie Elikann musste sich fertigmachen und wurde auf das Bürgermeisteramt verbracht, wo sie auch während der Nacht verbleiben musste. Die Zerstörungsaktion dauerte etwa 2 Stunden, es gingen und kamen immer wieder Zerstörungslustige“. Silberbestecke seien in Handtücher eingewickelt und mitgenommen worden. „Zu 80 Prozent war die gesamte Wohnungseinrichtung demoliert.“ Nachts, ergänzte der Augenzeuge, drangen erneut mehrere Personen durch ein Kellerfenster ins Hausinnere ein. Max Elikanns älteste Tochter Margareta Engel berichtete, dass ihr Vater geschlagen und ihr Bruder Heinrich misshandelt worden war. Auf Mutter und Töchter hagelte es Beschimpfungen und wüste Drohungen. Wie die übrigen Juden – darunter die vier Brüder des Vaters (Eugen, August, David alias Camill, Markus) - hatte man die Familie „für 8 bis 10 Stunden im Bürgermeisteramt in Hagenbach interniert. Der Pöbel benutzte die Zeit, um sich an dem Besitz der Unglücklichen zu bereichern. Es wurde ein Teil der Möbel, Kleider usw. von dem Pöbel unter Führung der SA in Hagenbach zerstört oder geraubt“. Ähnliches geschah auch im Haus des brutal verprügelten und sadistisch erniedrigten Arthur Blum. Ebenso wie Heinrich Elikann wurde dieser sogleich ins Konzentrationslager Dachau überführt. Ihre Entlassung erfolgte erst nach wochenlanger Haft. Am frühen Morgen des 11. November verließen die traumatisierten Elikanns mit einigen Habseligkeiten ihre Heimatgemeinde für immer.

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