Über den Kirchturm hinaus Martin allein zu Haus

Martin Luther hatte vor 500 Jahren auf der Wartburg seine eigene Form des Lockdowns.
Martin Luther hatte vor 500 Jahren auf der Wartburg seine eigene Form des Lockdowns.

Was tun, wenn man nicht raus darf? Draußen ist es gefährlich! Kommt Ihnen das bekannt vor? Lockdown für die einen, Schutzhaft für die anderen. So muss es wohl gewesen sein bei Junker Jörg im Turmzimmer auf der Wartburg bei Eisenach damals. Aber gerade dann kommen oft die besten Ideen.

Martin Luthers Freizeitprogramm vor exakt 500 Jahren brachte noch keine Server zum Schwitzen, da war es mit Streaming-Diensten und Internet noch nicht so weit her. Aber trotzdem war er medial auf der Höhe seiner Zeit und beschäftigte sich mit dem neusten Schrei, dem Stoff, aus dem die Bücher sind: bedrucktem Papier.

Follower und Fake-News

Das auch Gedrucktes Ärger einbringt, hatte Martin vier Jahre vorher schon gründlich erlebt. Seine „95 Thesen gegen den Ablasshandel“ hatten am 31. Oktober so richtig Schlagzeilen gemacht und die Wittenberger Drucker hatten sich als Follower darauf gestürzt. Gefragt wurde er nicht und Honorar gab es keines.

Auch seine Schriften an den „Christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ schlugen ein und hatten einen europaweiten Shitstorm entfacht. Er war ein Influencer und Star, als er im April 1521 zum Reichstag nach Worms kam, um sich zu rechtfertigen. Er sollte seine Werke als Fake-News widerrufen, weil er das Geschäftsmodell Ablasshandel der Kirche sabotiert hatte.

Griechischer Impfstoff für den Bibelfan

Widerspenstig blieb er: Er sah sich nicht durch die Bibel und klare Vernunftgründe widerlegt, sondern durch die „Schrift überwunden in seinem Gewissen und gefangen im Worte Gottes“. Kein Wunder, dass er anschließend auf der Heimreise mit Hilfe seines Landesherrn und einer fingierten Entführung abtauchen musste. Nun also Wartburg statt Wittenberg, Junker Jörg statt Professor Luther. Turmzimmer statt Hörsaal. Lockdown gegen den Virus der falschen Lehre, die die Kirche zerstört. Was also tun?

Zum Glück hatte Martin in Worms als Bibelfan ein griechisches Neues Testament zugesteckt bekommen und der Impfstoff, der ihm auf dem Reichstag stark und standhaft gemacht hatte, sollte mit spitzer Schreibfeder allen zugänglich werden: die Bibel in deutscher Sprache. Seine Drucker in Wittenberg hatte er als „Stiko“ auf seiner Seite. Im Dezember 1521 ging es mit dem Übersetzen los und dauerte nur elf Wochen, bis das Neue Testament auf dem Tisch lag als Vakzin und Stärkung des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, das jede und jeder einzelne selbst lesen und bekommen sollte.

Evangelische Pfarrer boostern schon lange

So entstand vor genau 500 Jahren das Septembertestament, das im Folgejahr veröffentlicht wurde. Die Impfdosis zur Freiheit wird bis heute angepasst und dem Volk „aufs Maul geschaut“. Vor vier Jahren zum Reformationsjubiläum haben wir in Deutschland die revidierte Lutherbibel 2017 in unseren Gottesdiensten eingeführt. Seitdem liegt sie in allen Kirchen auf dem Tisch, damit wir jeden Sonntag als Booster die Gute Nachricht der Gnade Gottes hören können und geimpft sind gegen Mutlosigkeit, Engstirnigkeit, Kleinglauben.

Wir feiern am Sonntag Reformationsfest, weil all das nicht nur die Kirche, sondern unsere ganze Welt von Grund auf verändert hat. Feiern Sie mit!

  • Johannes Fischer, Evangelischer Pfarrer für Ebertsheim, Mertesheim, Quirnheim und Kindenheim.

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