Donnersbergkreis Zersetzen, auflösen, neu bilden

Auf unkonventionelle und humorvolle Weise näherte sich die Schüler-AG des Leininger Gymnasiums Musik, Stimmung und Texten von Sc
Auf unkonventionelle und humorvolle Weise näherte sich die Schüler-AG des Leininger Gymnasiums Musik, Stimmung und Texten von Schlagern.

«ROCKENHAUSEN.» Entscheidend für den Verlauf eines Festivals Neue Musik als „Marathonlauf“ nach Noten und mit einer Herkulesaufgabe für alle Beteiligten sind neben künstlerischer Realisation auch Fragen wie Organisation, Präsentation und Moderation. Die Veranstalter wuchsen bei den Konzerten am Freitag und Samstag in der Donnersberghalle Rockenhausen hinsichtlich dieser vielfältigen Aufgaben wie wechselnde Bestuhlung und Bühnenverlagerung durchweg über sich hinaus. Sie stemmten diese gigantische Herausforderung und empfahlen sich nachdrücklich für weitere Projekte dieser Art.

Der am Freitag die Vortragsfolge eröffnende Konzertpianist klassischer Schule, Kai Schumacher, ist ein Allrounder und gewohnt, in Klavierrezitals verschiedenster Stilrichtungen sein Publikum im informativen, aber gemütlichen Plauderton mitzunehmen. Davon profitierte ein aufgeschlossenes, überhaupt bei allen Veranstaltungen unerwartet zahlreiches Publikum. Daher erschloss sich auch zugleich die Absicht des Komponisten – hier besser: Produzenten – einer Art Collage mit dem Titel „The Body of your dreams“: Ein Werbespot wird zu Klangsplittern verarbeitet, also zersetzt und auf rhythmisch-staccatierte Wortsilben reduziert, die werden rhythmisiert, und vom Pianisten werden diese vorab digitalisiert verarbeiteten Effekte genutzt, um sozusagen mit diesen in Dialog zu treten. Schumacher nutzte solche Effekte von weiteren Protagonisten dieser Art wie etwa Pierre Jodlowski, der in „Serie rose“ die landläufige Vorstellung von Klangfarben aufgriff, um sich von der Farbe rosa inspirieren zu lassen. Auch hier besteht die Aufgabe des Interpreten darin, auf diese digitalisierten Klangkulissen pianistisch zu reagieren, um deren Gehalt aufzugreifen und selbst zu verarbeiten. Dagegen arbeitet Benjamin Broening mit klassischen Gattungsbezeichnungen der Klaviermusik wie hier „Nocturne“; auch hier werden experimentell erzeugte Klavierklänge im Innern des Konzertflügels aufgenommen und als Klangkulisse zu klassisch-romantischem Klavierspiel im Stile von lyrischen Charakterstücken genutzt. Auch hier bildet die zwischenzeitlich eingeblendete Textrezitation von leer wirkenden Worthülsen eine wichtige Quelle der Inspiration und der Kommunikation. Es entstehen Passagen mit clusterähnlichen, zerklüfteten und bizarren Klangeigenschaften. Der Vortrag zeigte, wie klassische Hörgewohnheiten und Assoziation des Klavierspiels aufgelöst werden und das Instrument durch solch technologische Möglichkeiten zum Mikrokosmos von fast orchestralen Klangwelten avancieren kann. Wem dies zu abstrakt und abstrus vorkam, der fand in Schumachers Be- und Verarbeitungen von Pop und Rocktiteln von Bands wie „Lampshade“ (aus Skandinavien) oder „Moderat“ aus Berlin mit den Möglichkeiten eines privaten Tonstudios eine Anregung für den eigenen Gebrauch. Schließlich ging Schumachers Vortrag – rhetorisch und musikalisch – von der Prämisse aus, dass Musiktage wie Donaueschingen und Darmstadt verschiedene Strömungen der Avantgarde evozieren. Als Gegenströmung sah er die amerikanische Minimal Music, die mit Bausteinen – Patterns genannt – arbeitet. Was er mit Schichten, Verdichten oder Umkehren von solchen Keimzellen demonstrierte. Da entsteht aus wenigen Tönen eine schier unendliche Vielfalt, die zwar wie ein Perpetuum Mobile um einen motivischen Kern kreist, aber sich immer wieder neu in Bewegung bringt. Schumacher ist ein vielseitiger, auch als Bandmusiker gefragter Pianist und übrigens auch ein begnadeter Mozart-Interpret, der sich aller pianistischen und technologischen Möglichkeiten seiner Zeit bedient. Dagegen bot die folgende Schüler-AG des Leininger Gymnasiums Grünstadt unter der Leitung der Lehrerin Silke Egeler-Wittmann eine eigene Version und Kreation. Seit 1970 besteht beispielhaft (nur eine weitere deutsche AG dieser Art sei bekannt, so die Leiterin) diese AG für neue Musik, seit 1996 hat die genannte Pädagogin die Leitung inne. Die gezeigte Aufführung nennt sich neudeutsch „Performance“, die in verschiedenen Abläufen sich mit deutschen Schlagern analytisch auseinandersetzte und aus deren Text, Musik, Stimmungsgehalt und den ritualisierten Bewegungsmustern der Schlagersänger eine Art Parodie erarbeitete. Es entsteht eine Art Collage aus Textrezitation, Choreographie, Pantomime und Bühnenmusik mit einem ungewöhnlich kombinierten Instrumentarium. In den Unterrichtseinheiten seien die rund 30 Schüler über Improvisation zu dieser Performance gekommen, so die engagierte Lehrerin im RHEINPFALZ-Gespräch. Festgehalten im exakten Ablaufplan werden aus Schlagern gewonnene Anregungen in dieser Mixtur aufgeführt, was vorzüglich und reibungslos klappte. Der staccatierte Sprechgesang anfangs erinnerte an die Sprechfuge „Ratibor“ von Ernst Toch. Es folgten stereotype und von den Schlagerstars abgeschaute Bewegungsmuster, die in der Häufung, Wiederholung urkomisch, weil aus dem Zusammenhang gelöst, wirkten. Überhaupt ist das Lösen, Herausfiltern und Auflösen von Bestandteilen ( Töne, Klänge oder Verhaltensmuster) ein wesentlicher Aspekt dieses Festivals und Neuer Musik. Verschiedene Aufstellungen und Verarbeiten von Schlagertexten als Reduktion zu leeren Worthülsen – etwa „Hossa“ – machen aus Liebesliedern eine Groteske. Auf den ersten Blick betrachtet, nimmt mit dem danach auftretenden Ensemble „Cikada“ aus Oslo eine konventionelle Formation auf dem Podium Platz. Mit der Besetzung aus Flöte, Klarinette, Klavier und Streichquintett sowie Schlagwerk könnte man ein Salonorchester des 19. Jahrhunderts vermuten. Zumal Dirigent Christian Eggen auch mit klassischer Schlagtechnik die Werke von Rolf Wallin und die Uraufführung von Klaus Lang (Parthenon) dirigiert. Weit gefehlt: Rolf Wallin verarbeitet Elemente aus klassischer Orchestermusik mit Genres wie Jazz und Rock und bezieht Elektroakustik ein. Alles nur als Filtrat aus diesen stilistischen und klanglichen Möglichkeiten zu verstehen, nicht als Selbstzweck, sondern um eine neue Musikform zu kreieren. Da mischen sich in konventionelle Harmonien ungewohnte Dissonanzen, entstehen neue Tonsysteme. Anstelle barocker Soggetti oder klassisch-romantischer Themendurchführung werden Klänge aufbereitet und aneinandergereiht. Kraftvolle Akzente unter Trommelwirbel entladen diesen schöpferischen Prozess, der sich ein Ventil sucht. Auch Klaus Langs Komposition zeigt das Spielen, also Bilden und wieder Zersetzen, Auflösen und Variieren und Gestalten (dynamisch) von Klängen, was man als Metamorphosen von Klängen verstehen könnte. Im Stile eines Organisten, der Register zieht und wieder nacheinander ausschaltet, wird mit subtilem Klangzauber ein Klangteppich gewoben: Durchsichtig, filigran und im zartesten Pianissimo, das sich jedoch nie verliert, sondern seine Spannung behält. Eine Versinnbildlichung wie musikalisches Leben auf Sparflamme am Leben gehalten wird.

Konzertpianist Kai Schumacher verwob unterschiedliche Stilrichtungen.
Konzertpianist Kai Schumacher verwob unterschiedliche Stilrichtungen.
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