Donnersbergkreis „Wollen Trauer lebendig werden lassen“

Über 1000 Mitwirkende hat die Initiative „Sternenzauber und Frühchenwunder“, die Eltern von tot- oder frühgeborenen Babys Trost
Über 1000 Mitwirkende hat die Initiative »Sternenzauber und Frühchenwunder«, die Eltern von tot- oder frühgeborenen Babys Trost und Hilfe bieten will. 30 Frauen haben sich nun in Ransweiler zum Nähen getroffen.

Es ist eine unendlich traurige Erfahrung, wenn eine Schwangerschaft mit der Geburt eines toten Kindes endet – und es ist für Eltern eine ganz schwierige Zeit, wenn ein Baby früher als die von der Natur vorgesehenen 40 Wochen das Licht der Welt erblickt, um sein noch junges Leben kämpft und diesen Kampf nicht selten verliert. Dann beginnt die ehrenamtliche Arbeit der Initiative „Sternenzauber und Frühchenwunder“, die Betroffenen Trost spenden will: 1030 Helfer sind in Deutschland auf der gleichnamigen Seite digital vernetzt und kommen zum Nähen zusammen, um Kleidungsstücke für jedes noch so winzig kleine Menschlein oder Erinnerungsstücke für die verwaisten Eltern zu fertigen. Nun war Ransweiler Schauplatz eines solchen Treffens.

30 Frauen – teilweise in Begleitung ihrer Männer und Kinder – haben sich in der Gemeindehalle eingefunden. Organisiert hat die Zusammenkunft, von denen bundesweit mindestens eine pro Monat stattfindet, Yvonne Hautz. Sie ist selbst keine Betroffene, war aber auf die Seite der Initiative gestoßen, als sie ihr Brautkleid spenden wollte. Für 17 Personen stellt sie nun eine Unterkunft zur Verfügung, hat außerdem zusammen mit ihrem Ehemann sowie weiteren Helfern die Halle und das Essen organisiert. Wuppertal, Calw, Trier: Die Autokennzeichen auf dem Parkplatz zeigen bereits, dass die Teilnehmer aus einem weiten Umkreis in die Nordpfalz gekommen sind. Wer aber glaubte, hier eine traurige, stille, ernste Atmosphäre vorzufinden, der staunt über ein fröhliches und buntes Treiben. Ja, es fließen mitunter auch Tränen, aber selten sind es Tränen der Trauer – wenn die Frauen einander von ihren „Regenbogenkindern“ erzählen. Meistens sind es jedoch Tränen der freudigen Rührung und des Trostes. „Wir sind alle Feen, wir zaubern Sachen, wir sind einander Anker und Hafen, ob Betroffene oder Nichtbetroffene“, sagt Mandy Kremer, von Hautz als „Oberfee“ vorgestellt. „Wir kennen uns aus dem virtuellen Raum und freuen uns, wenn wir uns auf den Nähtreffen begegnen. Wenn irgendwo eingeladen wird, versuchen wir zu kommen.“ An zwei langen Tischreihen sitzen Frauen, Nähmaschinen surren, es wird gehäkelt und gestrickt. Und vor allem geplaudert und gelacht. Ein großes Buffet mit Kaffee, Kuchen, Snacks und Salaten steht bereit, ein Basteltisch für die Kinder. Und ein Ausstellungstisch mit den genähten und gehäkelten, greifbaren Erinnerungsstücken für Sternenkinder und den Hilfen für Frühchen – von winzigen Mützchen über Einschlagdecken und Bekleidungssets ab Kindergröße 38 bis hin zu Dufttüchlein. 2014 wurde eine erste Initiative gestartet, seit Dezember 2017 besteht die Gruppe „Sternenzauber und Frühchenwunder“ – den Namen haben die Mitglieder selbst gewählt. Über 1000 Frauen sind unterwegs, erläutert Kremer: „Die wollen halten, knuddeln und trösten, zuhören, sich in den Arm nehmen, nähen und basteln. Trauer gehört zum Leben dazu, die wollen wir lebendig werden lassen. Das größte Geschenk ist diese Gruppe, eigentlich ist sie unsere Familie.“ Die Mitglieder seien auch außerhalb der Treffen „analog“ miteinander verbunden, mit Grußkarten zu den Geburtstagen ihrer Sternenkinder oder mit einem enormen Schokoversand über Winter. Und so komme mit diesen Treffen und Gesten die andere Seite der Trauer zur Geltung – eine tiefe Leidenschaft für das Leben. Finns Internetseite habe 200.000 Klicks erhalten, erzählt seine Mutter, Mellie. Er kam tot zur Welt, darüber hinaus sei einiges nicht so gelaufen, wie sie es hätte brauchen können. Deshalb hat sie ihre Geschichte umgedreht und berichtet nun, wie sie es sich wünschen würde. „Wir hatten ja nur die Schwangerschaft und die kurzen Momente nach der Geburt, die sind unendlich kostbar. Man hat nachher nie wieder etwas. Wir sind dankbar für den Raum und die Zeit, die wir mit Finn hatten.“ Neben einer Reihe von Ritualen hätten die Eltern vor allem eines gebraucht: Zeit. Das Kind auf dem Bauch der Mutter wärmen, fotografieren, Waschen, anziehen, eine Haarsträhne abschneiden – aus allem habe man eine Erinnerung gemacht. Die Eltern sollten entscheiden, ob und wie sie Großeltern, Verwandte, Freunde einbinden. Sie sollten sich auch im Krankenhaus soviel Zeit nehmen, wie sie brauchten, bis sie ihr Kind gehen lassen konnten. „Ich krieg’s ja nie wieder“, so Mellie. In ihrer Wohnung gebe es Bilder von Finn, er gehöre genauso zur Familie wie das „Folgewunder“, der Zweitgeborene Janne. Zu Finns Geburtstag gebe es eine Kerze, Kartengrüße von Gruppenmitgliedern, der Vater zünde eine Rakete. Mellie wünscht ihren Leidensgenossen eine liebevolle Beerdigung ihrer Sternenkinder, auch für die Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 500 Gramm, für die Eltern ein Bestattungsrecht hätten. Erinnerung sollte mehr als ein Ultraschallfoto sein, verwaiste Eltern sollten nicht mit leeren Händen dastehen, merkt Kremer an. „Erinnerungskultur stärkt die Gruppe, man redet darüber, es gibt all die liebevoll hergestellten Geschenke. Wie sie aussehen sollen, erfragen wir bei den Eltern – eines wird dem Kind beigegeben, das zweite bekommen die Eltern“, fährt sie fort und zeigt Beispiele auf dem Ausstellungstisch: Kleine gehäkelte oder genähte Erinnerungsstücke, Schlüsselanhänger für die Väter, eine handgroße „Trostbärbel“ zum Knuddeln für Mamas, Taufauflieger aus Brautkleidern. Auch Geschwister brauchen Erinnerung: „Schön, dass meine Geschwister nicht vergessen sind“, sagt die zehnjährige Leah, die Mellies Erzählung zuhört. Man sei froh und dankbar für die gute Zusammenarbeit mit mehr als 300 Krankenhäusern sowie mit vielen Hebammen und Bestattern. Durch sie könne man die Hilfen für die Frühchen und die Erinnerungsstücke an die betroffenen Eltern weitergeben, erläutert Hautz. „Wir nähen und basteln heute, bis mein Mann sagt, das Essen ist fertig, das er zusammen mit den teilnehmenden Sternenvätern kocht. Danach feiern wir.“

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