Donnersbergkreis Verbandsliga-Casting in São Pedro

Eine „einzigartige Gelegenheit“: Schon im April rief der Verein Fußballer dazu auf, sich zu den Sichtungen anzumelden.
Eine »einzigartige Gelegenheit«: Schon im April rief der Verein Fußballer dazu auf, sich zu den Sichtungen anzumelden.

«Rüssingen.» „Es ist für unseren kleinen Verein sehr schwierig, neue Spieler für unsere Mannschaft zu bekommen, die auch in der Verbandsliga bestehen können“, erzählt Yalcin von dem Problem, vor dem der TuS Sommer für Sommer steht. Die Gemeinde zählt nur rund 490 Einwohner. Fußballtalente wachsen hier nicht an den Bäumen. Und: „Wir liegen hier halt nicht in einem großen Einzugsgebiet. Die Städte, in denen es ein Reservoir von verbandsligatauglichen Spielern gibt wie Mannheim und Ludwigshafen, Mainz oder Kaiserslautern sind leider weiter weg“, sagt Yalcin. „Im Donnersbergkreis sind wir derzeit mit Abstand der sportlich höchste Verein. Alles andere ist zwei Klassen tiefer, aktuell sehe ich da keinen Akteur, der uns weiterhelfen könnte. Außerdem sind viele Spieler zu verwurzelt. Die bleiben lieber zum Beispiel in ihrem Heimatdorf Gau-Odernheim, als zu uns zu kommen.“ Der 45-Jährige findet: „Der Fußball hat in den letzten Jahren einfach zu viele junge Leute verloren – an andere Sportarten und an die Playstation. Aber das ist die neue Zeit, und wir müssen damit klarkommen.“ In Rüssingen wolle man dem Donnersbergkreis weiter Verbandsliga-Fußball bieten. „Deshalb war es notwendig, andere Wege zu gehen.“ Warum nicht in die Fußballhochburg Brasilien reisen und dort nach Spielern schauen? Keeper stellte Kontakte her 2018 verpflichtete der TuS Keeper Evandro Rachoni de Lima, der zuvor bei RWO Alzey spielte. Über den Brasilianer knüpfte der Klub schon im Vorjahr Kontakte nach Südamerika. „Wir haben über Videos Spieler gesichtet und verpflichtet. Da waren einige gute dabei, aber auch viele schlechte. Das Problem war, dass wir nur Videos bekommen haben, in denen von den Jungs die besten Szenen zusammengeschnitten waren. Aber die echte Klasse der Spieler haben wir leider erst gesehen, als sie hier waren. Letztlich haben einige Brasilianer nicht zu uns gepasst“, so Yalcin. Sichtungstrainings in São Pedro Doch die Idee, Spieler aus Brasilien zu verpflichten, gab der in Göllheim wohnhafte Coach nicht auf. Yalcin, der in seine achte Spielzeit als Trainer des TuS geht, wollte aber diesmal auf Nummer sicher gehen. „Ich wollte mir die Jungs direkt vor Ort anschauen“, erzählt er. „Wenn ich vier- bis fünfmal die Woche nach Mannheim oder in andere größere Städte fahre, um Spielergespräche oder Spielerbeobachtungen zu machen, habe ich einen noch größeren Aufwand.“ Also organisierte der TuS in Brasilien ein Casting. Im April luden die Rüssinger über soziale Medien zu Sichtungstrainings in São Pedro nahe der Großstadt São Paulo ein. Den Kontakt zu lokalen Sportvereinen stellte Rachoni de Lima her. Der Rüssinger Erste Vorsitzende Klaus-Peter Hornung unterstrich mit einer Videobotschaft auf Deutsch und Portugiesisch die Ernsthaftigkeit des Unternehmens. „Zu Beginn wussten wir nicht, ob sich da überhaupt jemand meldet. Wir waren ziemlich gespannt“, erzählt Yalcin. Am Ende spielten 67 Kandidaten in der Zeit vom 4. bis 11. Juni vor. Rachoni de Lima, Matheus Baltieri sowie Yalcin schauten sich die Spieler an. „Es war ein unheimlicher Stress. Es ist viel Organisationsarbeit gewesen. Wir haben jeden Tag trainiert, immer kamen neue Spieler. Bis auf die Torhüterposition, auf der wir gut bestückt sind, haben wir für alle Teampositionen Leute gesucht. Letztlich waren es noch 16 Jungs, mit denen haben wir dann quasi am letzten Tag ein Testspiel gegen eine dortige Auswahl absolviert“, sagt Yalcin. Vier Neu-Rüssinger Und wurde er fündig? „Ja, wir haben vier Spieler gesichtet, die ab dem 4. Juli nach Rüssingen kommen werden.“ Die Namen des Samba-Quartetts will Yalcin erst nennen, wenn die Vorbereitung beginnt. Nur so viel verrät er: „Die Jungs sind Anfang und Mitte 20, sie wollen Fußball spielen. Alles also eigentlich ganz unspektakulär“, sagt Yalcin. „Das sind fröhliche junge Männer, nach einer Woche haben wir gemerkt, dass sie auch menschlich zu uns passen. Wir bauen auf die vier für diese Saison.“ Yalcin ist bewusst, dass sein Experiment von vielen in der regionalen Fußballszene kritisch beäugt wird. Die Frage, ob das auch wirklich klappt, bekomme er sehr oft in diesen Tagen gestellt. Sorge, dass sich der ein oder andere Ankömmling hier nicht wohl fühlen wird, hat Yalcin aber nicht. „Diese Jungs wollen unbedingt in Europa Fußball spielen, sie haben eine große Leidenschaft und Motivation. Das ist ihre Chance, sich für höhere Aufgaben zu präsentieren. Wenn es bei uns den angeblichen Winter geben soll, zwischen Dezember und Februar, pausiert die Liga. Dann sind sie in der Heimat“, so der Coach, dem anzumerken ist, dass er sich richtig auf die neue Saison freut. „Schon immer Multi-Kulti-Teams“ Was Yalcin auch oft zu hören bekommt: „Ihr könnt euch doch gar nicht untereinander verständigen, und deutsche Spieler habt ihr ja auch keine.“ Dabei trainiere er schon immer „richtige Multi-Kulti-Teams“. Und die Kommunikation? „Ganz einfach: Ich spreche englisch, türkisch, deutsch und brasilianisch-portugiesisch. Aber vieles geht über die non-verbale Kommunikation. Nicht-Kommunizieren ist nie möglich. Außerdem: In meiner Umgebung mischen doch auch die deutschen Freunde schon fremde Wörter in die Unterhaltungen. Das ist eben die heutige Zeit.“ Gäbe es deutsche Spieler mit Verbandsliganiveau, die in Rüssingen spielen wollten, wäre er der letzte, diese nicht zum TuS zu holen. Mit der Reise nach São Paulo, sagt Yalcin, habe sich sein Horizont wieder ein Stück erweitert. „Und das gilt auch für die neue Runde: Jeden Tag genieße ich, an dem ich mit meinen Spielern auf dem Platz stehen darf, denn es bringt mich in vielem weiter.“ In der vergangenen Runde spielten zwei Japaner beim TuS. „Die beiden haben eine unglaubliche Höflichkeit an den Tag gelegt.“ Mit Yahya Sanyang stürmte ein streng gläubiger Moslem, der manchmal auch im Training betete. „Wir haben gewartet, bis er fertig war. Das gehört sich so“, sagt Yalcin. „Alle diese kulturellen Einflüsse machen auch unser Team zu etwas Besonderem. Und auch hier sage ich: Das ist eben die heutige Zeit.“ Und würde er im kommenden Sommer noch einmal so ein Casting in Brasilien veranstalten? „Wenn es notwendig ist, würde ich das immer wieder machen“, sagt Yalcin lächelnd.

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