Grünstadt „Uns is zum Glick nix bassiert“

Hat immer „gebetet und gebetet“, dass der liebe Gott seinen Vater vor den Nazis beschützen möge: Helmut Janson.
Hat immer »gebetet und gebetet«, dass der liebe Gott seinen Vater vor den Nazis beschützen möge: Helmut Janson.

Als die Göllheimer Synagoge angesteckt ist, da wird Helmut Janson aufmerksam. Helmut Janson wundert sich heute noch, wie klar sein Vater damals alles gesehen, die ganze Hitlerei durchschaut, wie er alles vorausgesehen habe, wie was kommen wird. Wie klar und entschieden er alles ausgesprochen und gelebt. So, wie er von seinen 14/18er Kriegserlebnissen erzählt, von den drei, vier Jahren in Grauen und Unrecht „und was rauskommt, wenn der Krieg dann zu Ende ist“. Und unter welchem Druck er gestanden hat, seelischer Druck, religiöser Druck, existenzieller Druck, dieser Vater, und wie er diesen Druck wohl ausgehalten haben mag. Denn Vater Heinrich Janson war ja von Anfang an im Fadenkreuz der Nazis. Als gläubiger Christ, als aktiver Katholik. Als ein Mann, der das offene Wort nicht gescheut hat. Und als einer, der seinen Glauben offen lebt. Immer wieder hatte ihn die Partei rekrutieren wollen, zwingen wollen zu irgendwelchen Zwangsarbeiten; aber Saat und Ernte und die ganze Landwirtschaft konnte er dagegen geltend machen, gegen solche Parteieinsätze. Dafür wurde er nach Kaiserslautern bestellt, vor Gericht gezerrt, bestraft, 50 Reichsmark: „Das war viel Geld für einen kleinen Hof wie mir“, registriert der Sohn. Dann sollte er als „Wehrbauer nach Lothringen, sollte umsiedeln, von Göllheim weg, sollte dort angesiedelt werden – das wollte er natürlich nicht! Seit dem 16. Jahrhundert ist die Familie Janson in Göllheim ansässig! Wie mein Vater seinen Protest durchgezogen hat, ist mir heute noch schleierhaft. Ohne Schaden zu nehmen. Am Ende – er und wir brauchten dann nicht weg!“ Daraufhin stand aber plötzlich die Drohung der Partei ins Haus, er müsse in die Ukraine. Umsiedeln. Mit Sack und Pack. Nur die Fürsprache seiner Schulkameraden, mit denen er im Winter im Wald arbeitete, alle in der SA, habe ihn vor diesem erneuten Partei-Terror gerettet. Auch habe der Lehrer Becker seinen Vater „irgendwie geschützt“. Sein Lehrer war Vaters Schulkamerad. Auch ein Bauers-Sohn. Lehrer, Nazi. Bürgermeister. „Aber kein fanatischer Nazi!“ Janson spürt nach. „Kein fanatischer Nazi, aber er hat halt mitgemacht, von Berufs wegen mitgemacht, und erst, nachdem sein Sohn gefallen war, ist er wie umgedreht! Dann war der plötzlich öffentlich kein Nazi mehr!“ Vater und Becker hätten viel miteinander gesprochen. Auch über ihn, und seine schönen Aufsätze habe sein Lehrer oft gelobt. Vater habe immer genau „gewisst“, mit wem er was bespricht. Und Mutter immer in der Angst, „dass die den Vater abholen, dass irgendetwas durchsickert, Vaters Haltung ist im Dorf bekannt und manifest“. Er dürfe sich den Nazis gegenüber nichts anmerken lassen, nicht verraten, dass der Vater über Hitler schimpft; täglich die mütterliche Beschwörung: „Sach mer jo nix in de Schul, was dehemm de Vadder gsadt hod!“ Wie er, der Sohn, der Helmut, der kleine Bub, all dies erlebt habe?, frage ich bang. Da sitzen neun Jahrzehnte am Wohnzimmertisch. Und schweigen. Und man sieht zu, wie im 93-Jährigen förmlich der kleine Helmut aufersteht. Jansons Augenlider flattern, seine Lippen beben und es dauert und dauert, bis er leise - wie gesteht: „Ich habe immer Ängste ausgehalten!“ Die ganze Familie sei eingeschüchtert gewesen. Er habe immer gebetet, „gebetet und gebetet“, dass der liebe Gott seinen Vater vor den Nazis beschützen möge. „Jaja!“, sagt Janson. Und noch einmal: „Ja Ja!“ Es habe ja absolut die Gefahr bestanden, dass „man den Vater einfach abholt!“ Pause. „Damals wurden Leute ja einfach abgeholt. Und verhaftet. Und sind nach Dachau gekommen – das hat man immer gehört!“ Der Großvater sei ja ein alter Mann gewesen, der hätte den Hof nie und nimmer mehr alleine führen können. Sein Vater ist, was die ganze Hitlerwirtschaft betraf, kompromisslos gewesen. Ein Bollwerk. Ein christliches Bollwerk. Er pflegt keinerlei Kontakt zu den neuen Machthabern im Dorf, er setzt keinen Schritt in die Gaststätte des Parteigenossen Kohlmann, „ein schöner SA-Mann“, ironisiert er bitter, „immer in zackiger Uniform“; selbst wenn er, Helmut, am 9. November mit den anderen Schulkindern im Saal dieser Wirtschaft neben dem evangelischen Pfarrhaus an der Gemeindewaage, das Gasthaus, das früher „Zum Donnersberg“ heißt, dann aber vom Wirt umgetauft in „Zum SA-Mann“, also, selbst wenn er dort mit der Schule am 9. November Nazi-Lieder hätte singen müssen, blieb der Vater fern. Großvater ist auch lieber zum „Kallischda“ karten gegangen, der Wirtschaft „Zur Post“ gegenüber der Apotheke, einmal die Woche, „e Glässche Woi“, und Vater geht „alsemol sunndags zum Ernschd zum Karten“ – das Wirtshaus der Metzgerei Ernst gegenüber. Tiefes Luftholen. Und dann wieder zweimal Jansons resigniertes „Naja!“ Um Atem ringen. Und dann zählt er sie doch plötzlich alle, alle auf. Alle zählt er auf, die in Göllheim plötzlich bedroht, abgeholt, verhaftet – der Pfarrer, der Lehrer, die Lehrerin, der Maurer, der Förster, der Gendarm. Und sein Lehrherr, der Herr Knauber, Heinrich. Weil sie Religionsunterricht gegeben, in der falschen Partei waren, ein falsches Wort zu falscher Zeit zur falschen Person geäußert oder einfach in ihre, in die Kirche gegangen seien. Oder eben nur Juden waren. „Uns is zum Glick nix bassiert!“ Luft anhalten. „Den Hechte Sally ham se a verhaft!“, fügt er hinzu, nur weil der eben Jude war – „der hod e klä Lebensmiddl-gschäfdsche am Könischkreuz ghabt un a mit Stoffe ghannelt!“ Wie lange all dies schon vergangen ist! Denke ich mir. Aber wie gegenwärtig. Wie wir beide da zusammen an diesem Wohnzimmertisch sitzen, stundenlang, dieser Herr Janson mit seinen 93 Jahren, so sanft, so sachlich, so besinnlich, bescheiden, vor allem bescheiden. Aber. Mit welcher Eindringlichkeit! Einer Eindringlichkeit, deren Wucht einen unvermutet ergreift, mitreißt, umwirft. Man braucht die Augen gar nicht erst zu schließen und riecht schon und hört und sieht und spürt. Wie die Vergangenheit dampft. So dicht und sicher und sauber wählt Janson das Wort, wägt ab, wertet kaum, schafft eine Atmosphäre, die atmet und atmet mit jeder weiteren Äußerung, der man sich deshalb nicht entziehen kann, nicht entziehen will. Und ich will ewig zuhören. So möchte ich auch endlich wissen, wie die Konfessionen in Göllheim überhaupt miteinander umgegangen sind. Alles eitel Sonnenschein? Alles gutnachbarschaftliches Miteinander? Ob seine Schwester beispielsweise, hätte sie sich in einen jüdischen Jugendlichen verliebt, diesen auch geheiratet? Sofort weiß er: „Niemals!“ Seine Schwester hätte auch „niemals einen Evangelischen geheiratet!“ Das wäre auch von den Eltern aus nicht erwünscht gewesen: „Das sollte nicht sein!“ Warum? Weil das andere Glaubensrichtungen sind. So etwas geht nicht gut! Natürlich habe es auch in Göllheim gravierende Differenzen zwischen der evangelischen Mehrheit und der katholischen Minderheit gegeben. Bespielsweise? Beispielsweise stellen die Katholiken an Fronleichnam frische junge Birken auf, die ganze Klostergasse entlang bis zum Lahrschen Bauernhof, „dass alles schön und grün ist.“ Aber. Aber kurz vor der Prozession macht der evangelische Kirchendiener alle Bäumchen ab und wirft sie den Jansons vors Haus. Angesprochen, erwidert er: „Wir können es nicht verantworten, dass an diesem katholischen Tag evangelische Häuser geschmückt werden!“ Warum? „Aus Glaubensgründen!“ Nennt man das nicht Glaubenskrieg? Janson, matt: „So war das halt damals!“ Besichtigung der wunderschönen protestantischen Barock-Kirche gegenüber auf der anderen Seite der Klostergasse, keine fünf Meter von der Jansonschen Haustüre entfernt, gar Besuch des Gottesdienstes dort, als Kind - unmöglich: „Die Mutter hatte das strikt verboten!“ Er selbst hat das evangelische Gotteshaus gegenüber erst viel viel später und als Elektroinstallateur betreten, um ganz profan den Kronleuchter zu reparieren. Heute hat der Katholik sogar manches Mal schon in Vertretung seiner Nachbarin Gerlinde, der Presbyterin, die evangelischen Glocken geläutet. „Ja ja!“, seufzt der alte Mann: „So war das früher!“ Bisher erschienen „Und ob das alles wichtig ist“ (4. Oktober), „Mir warn die arme Leit“ (11. Oktober), „Nie ohne Witz in den Kuhstall gekommen“ (25. Oktober), „Es hat immer grad so gereicht“ (13. November), „Mir warn mit unsere Viecher per Du“ (16. November) und „Uff ämol warn die Judde nimmi do“ (21. November) und „De Hitler issn Lump“ (24. November) und „Uffbasse!“ (28. November).

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