Donnersbergkreis Neue Klangräume geöffnet

Jeder Ton plastisch und verinnerlicht: Maria Grazia Bellocchio bei ihrem Auftritt am Sonntag in der Donnersberghalle. Mit Wollha
Jeder Ton plastisch und verinnerlicht: Maria Grazia Bellocchio bei ihrem Auftritt am Sonntag in der Donnersberghalle. Mit Wollhandschuhen, die sie danach abstreifte, brachte sie die leisen Töne des Eingangsstückes bemerkenswert fein und schmeichelnd zum Klingen.

«ROCKENHAUSEN.» Großartig, sich einbrennend: das Rezital Maria Grazia Bellocchios im Rahmen des Festivals Neue Musik in Rockenhausen. Unterm Strich vier auffallend gut besuchte und facettenreiche Abende mit einer Fülle brisanter Neuerfahrungen. Welch großer Gewinn für die Nordpfalz!

Die international renommierte Pianistin aus Italien setzte Miniaturen aus György Kurtágs „Játékok“ (Spiele) mit Werken von Scarlatti, Schubert, Schostakowitsch, Tschaikowski, Janácek und Bach in fesselnde Dialoge; den Bogen schlugen dabei minimalistisch knapp gehaltene Hommagen an die Meister. Neben György Ligeti und Péter Eötvös gilt der 1926 im Banat geborene und heute in Frankreich lebende Kurtág als der erfolgreichste ungarische Komponist nach 1945. Ideengeber zu seinem Musikalbum Játékok war die spontane Experimentierlust von Kindern, die das Klavier als unbegrenztes Spielzeug ausprobieren – über die Tasten streifend, hämmernd, immer wieder neue Harmonien suchend und sie wiederholend. Spielerisch und unbelehrt unbefangen. Bellocchio (auf Deutsch „Schönauge“) begann mit einem „Perpetuum mobile“: Sanfte, zart die Klaviatur streichelnde Glissandi in durch- und aufeinander zulaufenden Wellenbewegungen, die an ein schier unendliches Meer denken ließen, mit mehreren Fingern im Wechsel unter auffallend rundem Handrücken gespielt. Mit Wollhandschuhen, die die Interpretin danach abstreifte, brachte sie diese leisen Töne bemerkenswert fein und schmeichelnd zum Klingen. Und in der Folge machten der selten so weich wie hier gehörte Anschlag der Künstlerin und gleichzeitig ihre wie selbstverständliche, schnörkellose Nachempfindung jeder Note das Konzert zu einem einzigartigen Erlebnis. Eine Vielzahl kurzer Stücke, oft nur in Sekundenlänge, kontrastierte da zu Klassikern der Musikliteratur, die die angerissenen Stimmungsbilder ergänzten – transparent, leicht verständlich, rhythmisch packend, gerne mit fetzendem Schlussakkord. Manches wirkte bruchstückhaft wie ein funkelnder Glassplitter oder aphoristisch wie ein eben mal so hingeworfener Gedankenfetzen. Mal kindlich, mal koboldhaft, hie und da auch mal schrill, dann wieder im Feinschliff wie glitzernde Kristalle. Oder – in Anspielung auf Peter Tschaikowskis (1840-1893) berühmtes Klavierkonzert Nr. 1 – als tobender Tastendonner (wieder in Handschuhen). Umso eindringlicher wirkte dessen nachdenklich verträumtes, von Vergänglichkeit singendes Herbstlied „Oktober“. Diese Gegenüberstellung von im „kollektiven Bewusstsein“ verwurzelter Musik und Kurtágs unverbrauchter Ästhetik war von großem Reiz. Geöffnet wurden neue, kaum betretene Klangräume voller Anregungen und Überraschungen. Nur ein Beispiel, „In memoriam Gyorgy Szoltsanyi“: Aus anfangs zurückgenommener, dann fast kantabler Mittellage steigert sich kraftvoll zupackendes Volumen, das in fingerfertig hingetupften Staccati wieder ganz zart ausklingt. Verhaltene Melancholie bestimmte die in ruhigem Fluss gehaltene „Aria“ aus Domenico Scarlattis (1685-1757) Sonate in d-Moll K 32. Bellocchio gestaltete sie bewundernswert warm und durchsichtig. Franz Schuberts (1797-1828) „Ungarische Melodie in h-Moll D 817“ mit ihrer einsamen Düsternis ohne jede Spur von Weinerlichkeit war berührender Brückenschlag aus der Romantik zu Kurtágs moderner Klangsprache. Dmitri Schostakowitschs (1906-1975) eher „frostigem“ Präludium in cis-Moll op. 34 Nr. 10 ging ein fast ins sinnlich-Melodiöse springender Kurtág-„Waltz“ voraus – packend kontrastierend. Leoš Janáceks (1854-1928) „Schwatzende Schwalben“ als klangmalerisches Schmankerl – die Künstlerin spielte die vielfarbige Palette ohne Pausen durch. Etwas deutlichere Zäsuren zwischen den zahlreichen Momentaufnahmen und nur so „blitzenden“ Impressionen hätten die Verständlichkeit vermehrt. Unübertreffliches Finale war die Sarabande aus der Französischen Suite Nr. 1 in d-Moll, BWV 812 des großen J. S. Bach. Zum Niederknien schön, jeder Ton plastisch und verinnerlicht. Der lange, sehr zugetane Applaus wurde mit einem weiteren Höhepunkt bedankt: Mit ihrem Meisterschüler Filippo Gorini, unter anderem gerade mal 20-jährig Gewinner des Telekom-Wettbewerbs 2015, interpretierte Bellocchio Bachs Sterbekantate „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ vierhändig. Einfach wunderbar!

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x