Donnersbergkreis Lolli und der alte Casanova

Sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Altern: Der 84-jährige Schriftsteller und Musiker Gerd Forster bei seiner Lesung.
Sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Altern: Der 84-jährige Schriftsteller und Musiker Gerd Forster bei seiner Lesung.

«KIRCHHEIMBOLANDEN.» Giacomo Casanova und Mozarts Don Giovanni/ Don Juan, als legendäre Frauenverführer und erotomane Wilderer in die Weltliteratur eingegangen: Wie ähnlich sind sich die beiden wirklich? Gerd Forster wirft diese Frage, unter anderem, in seiner neu erschienenen Erzählung „Besuch beim alten Casanova“ auf. Am Montag stellte er sie in der gut besuchten Kleinen Pfalzbibliothek vor. Ein „Heimspiel“, etliche Weggefährten und Freunde des Autors saßen im interessiert folgenden Publikum.

Forster, mozartbegeisterter Musiker und Schriftsteller, schickt den Sänger Giuseppe Lolli auf eine Kurzreise nach Dux (heute Duchcov) in Böhmen zum Schloss des Grafen Waldstein, wo Casanova die letzten dreizehn Jahre seines Lebens als Bibliothekar mehr fristet als verbringt. Der frühere Beau, (Falsch-)Spieler, Philosoph, schillernde Literat, den sein Lebenshunger quer durch Europa trieb und der zu fast allen großen Persönlichkeiten seiner Zeit Verbindungen hielt (seine umfangreichen Memoiren zählen mit zu den historisch bedeutendsten Quellen über die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts), zahlt dem Alter den fälligen Tribut: Altersflecke auf der Stirn, er hört schlecht, hat Probleme mit der Prostata, seine zunehmende Ängstlichkeit hindert ihn am Reisen und fesselt ihn an das böhmische Dorf. Sein Erzähltalent versiegt, über das Alter schreibt er nun mal nicht. Die Domestiken des Grafen drangsalieren und verspotten ihn als Karikatur einer vergangenen Epoche. Lolli singt derweilen in Prag, wo Mozart 1787 seinen Don Giovanni uraufführte, den Masetto und in der Doppelrolle den Komtur – Mordopfer und im Finale steinerner Gast, der das Treiben des Wüstlings mit Blitz und Donner melodramatisch beendet. Den Masetto, den jungen Bauern, dem der Frauenliebling die Braut abspenstig macht, würde Lolli gerne frecher und rebellischer gestalten. Ob ihm da Casanova einen Tipp geben kann? Aber der winkt ab: aufmüpfiger, das würde bedeuten, gegen den Adel Partei zu ergreifen. Waldstein ist schließlich sein Brotgeber. Und um auf die Anfangsfrage zurückzukommen: Casanova distanziert sich aufs schärfste von dem ungebildeten und skrupellosen Lüstling und „Anmacher“ Don Giovanni, der bei seiner Jagd auf Trophäen über Leichen geht. Er selber verabscheute jedwede Gewalt. Champagner war für ihn nicht nötig, man liebte grundsätzlich in beiderseitigem Einverständnis. Seine „seduktiven Fähigkeiten“ ließ der Venezianer vorzugsweise bei Frauen höherer Stände in Gesprächen über Kunst und Literatur spielen – nie ging man in Groll auseinander. Tragödien wie mit Donna Elvira blieben da ausgeschlossen, Wiederbegegnungen wurden sogar als Glück empfunden. In einer späteren Episode spazieren die beiden Italiener durch den Schlosspark, und Casanova spricht von seinen Ärgernissen mit dem Verwalter und insbesondere mit dem Porträtmaler Schötter, der die junge hübsche Portierstochter Dorothea schwängerte. Mit eine Schlüsselszene, in der der alternde Kavalier mit vermeintlicher Virilität kokettiert: Die Gerüchte, er, Casanova, könnte das Mädchen entehrt haben, müssen ihm ungeheuer geschmeichelt haben. Der notorisch Bindungsunwillige denkt sogar an Heirat, „was für mich auf meine alten Tage sehr belebend gewesen wäre“. (Es kommt jedoch nicht dazu.) Der 84-jährige Schriftsteller liest eindringlich und in relativ kurzen Abschnitten, seine Schilderungen und Porträtierungen klingen profund und überzeugend. Zusätzliche Authentizität und Einfärbung erfahren sie durch die sehr persönlich wirkende Auseinandersetzung mit dem Alterungsprozess: Der von zunehmenden Gebrechen und schwindender Kraft gezeichnete Casanova ist dabei allerdings zehn Jahre jünger als der ungebrochen schreibende und Hintergründe ausleuchtende Erzähler! Und das ganz Besondere an diesem Abend ist die Musik, die so viel Flair wie Zeitkolorit herstellt. Am Klavier setzt der Musiker Forster Zäsuren mit Mozart – zunächst mit dem bezaubernd melodiösen zweiten Satz aus der C-Dur- Sonate KV 330, später mit dem „Adagio“ aus KV 332, mitreißend durch seine Gefühlstiefe, und schließlich mit der in kontrastierende Stimmungen ausbrechenden Fantasie in d-Moll. Der Pianist besticht durch sein so zupackendes wie empfindsames Spiel, es ist plastisch und perlend leicht. Dieser Mozart klingt wunderbar ungekünstelt, gelöst und unverkitscht. Etwa drei Jahre Arbeit, umfangreiche Recherchen und einen Besuch in Duchcov widmete der Autor seiner Erzählung dieser ungewöhnlichen Begegnung. Wie Casanova starb? Ziemlich verlassen und krank. Eine kleine Tafel gegenüber der barocken Kapelle, wo früher der Friedhof lag, erinnert an „Jakob Casanova, Venedig 1725, Dux 1798“. Forster: „Hieße er Jakob Neuhaus, also Casanova ins Deutsche übersetzt, wäre für uns ein Teil seiner Ausstrahlung weg.“ (Anmerkung: Und Lolli hieße Dauerlutscher.). „Immerhin haben wir in Dux eindringlich Vergänglichkeit und Veränderung erlebt und auf diesem Hintergrund und im Hinblick auf Casanovas Memoiren erneut die Überlebensfähigkeit von Literatur.“ Wie gewohnt war man im Anschluss von Gastgeberin Margita Schreier zu einem angeregten Nachgespräch bei einem Glas Wein eingeladen. Zur Person Gerd Forster, geboren 1935 in Ludwigshafen, lebt in Eulenbis (Landkreis Kaiserslautern) und zeitweise in Berlin. Studium der Musik und der Germanistik in Heidelberg, Gymnasiallehrer bis 1999. Mitbegründer der Autorengruppe Kaiserslautern. 1977 Pfalzpreis für Literatur.

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