Donnersbergkreis Klavierdonner, Geräusch-Quartett und Geisterstunde

Das Cikada-Klavierquintett spielt Klaus Langs „Schumanns Geister“ (v.li.): Kenneth Karlsson (Klavier), Sara Övinge (Violine), Od
Das Cikada-Klavierquintett spielt Klaus Langs »Schumanns Geister« (v.li.): Kenneth Karlsson (Klavier), Sara Övinge (Violine), Odd Hannisdal (Violine), Bendik Voss (Viola) und Torun Stavseng (Violoncello).

«ROCKENHAUSEN.» Das letzte Wort, die letzten Klänge hatten die „Zikaden“, und es war, als sollte nochmals eine Quintessenz gegeben werden von dem, was Neue Musik ist und sein kann. Cikada, das auf zeitgenössische Musik fokussierte Ensemble aus Norwegen – am Freitag schon im Einsatz und nun als Klavierquintett gefordert –, musizierte zum Abschluss des Festivals Neue Musik am Sonntag mit großer, fesselnder Intensität ein nicht eben leichtgewichtiges Programm.

„Landscape with ruins“: Der Titel des Eingangsstückes des Norwegers Eivind Buene lässt an romantische Bilderwelten denken – Ruinen als malerische Relikte einer reichen Vergangenheit, harmonisch geborgen in der grünen Fülle einer Naturlandschaft. Dass solcher Seelentrost hier fernliegt, machte das Trio aus Klavier, Geige und Cello gleich eingangs unmissverständlich klar mit den donnernden, wilden Ausbrüchen und dem gehämmerten Tönebombardement, das Pianist Kenneth Karlsson über die Klaviatur peitschte, bis nur noch drohend wummernde Klangwolken wie Pulverdampf aus dem Flügel aufstiegen. Da hinein entfaltete sich dann ein Zwiegespräch der Streicher, geprägt von gegenläufigen Glissandi, Flageoletttönen, percussiven Elementen, die Saiten auf- und abgleitenden Strichen der Bögen, die auch mal auf den Saiten tänzelten – ein bizarrer Dialog, dämonisch, fremd, grell. Töne, die zagend, klagend, irrend, gequält erfühlten, was da noch an Ruinen in der Landschaft stehen mag. Die wiederum wurde vom Piano, nun ganz zurückgenommen zur zart und harmonisch aufgezogenen Klangkulisse, im Hintergrund dezent ausgemalt. So markant getrennt, wie Piano und Streicher hier agierten, sind Landschaft und Ruinen auch keine Einheit, sondern ein Spannungsfeld voller Bruchlinien, Risse und Kanten, voller Dissonanz zwischen Natur und Geschichte. Reizvoll: Der flötende und zwitschernde Geigensingsang erhielt plötzlich ein Echo aus dem hinteren Saalbereich. Im Rücken des Publikums hatten sich zwei weitere Streicher des Ensembles im Dunkeln mit ihren Instrumenten postiert und erweiterten so ins Unsichtbare hinein das Trio zum Quintett. Neue Musik – das muss nicht dissonantes Töneinferno oder Geräuschexperiment sein. „Schumanns Geister“, die von Cikada als Klavierquintett anschließend aus der Partitur des Österreichers Klaus Lang heraufbeschworen wurden, blieben ganz im Harmonieraum, wie ihn Schumanns „Geistervariationen“ von 1854 vorgeben. Das Stück lässt das Thema, die Harmonien regelrecht kreisen im Raum, mit zart gestrichenen, etwas rau anmutenden Tönen ohne jedes Vibrato, ein Teppich aus Wohlklang, der – so zitierte Festivalinitiatorin Lydia Thorn Wickert eingangs den Komponisten, der im Publikum saß – wie durch einen Nebel hindurch den Blick auf Schumanns Werk fallen lässt. Hier und da ein Aufklaren mit einem melodiösen Exkurs, mit silbrig perlenden Pianotönen – und später, ganz zart angedeutet, hier und da ein tonales Abgleiten, das den doppelten Boden verrät, den der in stetem dynamischem Gleichmaß in sich kreisende Gesang der Instrumente verbergen will. Eine wunderbar gespielte Geisterstunde. Schöne Idee, das Festival dort zu beenden, wo es begonnen hat: mit Helmut Lachenmann. „Gran Torso“ ist zudem ein Klassiker der Neuen Musik – aber auch über 45 Jahre nach seinem Entstehen ein Stück, das die Geister scheidet, je nachdem, wie weit man seinen Begriff von Musik zu fassen bereit ist. „Gran Torso“, ein Streichquartett, ist Musik ohne Töne und Harmonien, ohne den vollen Bogenstrich, eine Komposition aus Geräuschen. Kratzen, Knacken, Klackern, Schwirren, Bogenstriche über den Saitenhaltern, Glissandi über gedämmte Saiten, Bögen, die die Saiten auf- und abstreichen und abklopfen, schnitzen diesen Torso, tasten seine Konturen ab, lassen ihn Ereignis werden. Das ist fremd, irritierend – und doch keineswegs ein Chaos. Hierarchien zwischen führenden und begleitenden Aspekten blieben hörbar, Korrespondenzen zwischen den Instrumenten, Phasen der Verdichtung und Spannung, die mit solchen der Beruhigung und Entspannung wechselten, nicht zuletzt ein Rhythmus, der bei Geiger Odd Hannisdal mit seinen wiegenden Handbewegungen fühlbar wurde und das Geschehen strukturierte. Und am Ende signalisierten im Gleichklang trocken gezupfte Saiten ein Finale – in das sich Bendik Voss mit nur noch drei Saiten auf seiner Viola retten musste, eine riss kurz vor Schluss, was sicher nicht in der Partitur stand. Ein Stück, das durchaus zu fesseln vermag, zumal wenn man sich packen und die Ohren öffnen lässt von der großen Intensität, mit der die Musiker agieren, und von der Fremdartigkeit einer solchen Klangreise auf ganz eigenen Pfaden. Freilich, es ist zunächst ein intellektuelles Abenteuer, stößt Gedanken an, fordert sie geradezu, doch wird man wohl kaum einen klanglichen Nachhall summend mit sich auf den Nachhauseweg nehmen. Das ist auch nicht gewollt, umso mehr das Nachdenken über Musiktradition, künstlerischen Fortschritt, das Öffnen des Hörens für die ganze Breite und Fülle des akustischen Geschehens und der alltäglichen Klangräume. Musik oder eher ein Kommentar zur Musik? Das muss jeder für sich entscheiden. Cikada verdiente sich jedenfalls, unabhängig von solcher Stellungnahme, großen Beifall für sein ausdrucksstarkes, durchdrungenes, fein abgestimmtes Agieren. Zum Abschluss des Festivals hatte Lydia Thorn Wickert Dank zu sagen den vielen Mitwirkenden und den guten Geistern hinter den Kulissen, der Riege der jungen Tonhelfer, die ein letztes Mal Blumen an die Künstler zu verteilen hatten und ansonsten für Auf- und Abräumen, Wegweisung und tausend andere kleine Dienste bereitstanden, an Hausmeister und Reinigungspersonal für Einsätze außerhalb der üblichen Dienstzeit und stellvertretend für viele andere an Karin Müller von der Stadt fürs Bewältigen zahlloser organisatorischer Aufgaben. Die Blume, die Lydia Thorn Wickert dann selbst von ihrem Mann überreicht bekam, wurde von großem anerkennenden Beifall begleitet – das habe nicht im Drehbuch gestanden, versicherte sie.

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