Donnersbergkreis Fesselnd, visionär, magisch

Bassistin Katharina Groß, Klarinettist Martin Albrecht und Schlagzeuger Dirik Schilgen (v. li.) vor einer der zahllosen Visualis
Bassistin Katharina Groß, Klarinettist Martin Albrecht und Schlagzeuger Dirik Schilgen (v. li.) vor einer der zahllosen Visualisierungen des musikalischen Geschehens aus Reinhard Gellers PC.

«Weierhof.»Die Rede von Klangfarben und Farbtönen verrät sie, die verborgenen Zusammenhänge zwischen Sehen und Hören. Im Blauen Haus wurden sie nun unmittelbar erlebbar: Martin Albrechts Scriabin Code war zu Gast, nahm das Publikum mit in ein magisches Universum, das sozusagen Musik mit offenen Augen, Bilderfluten mit den Ohren erleben ließ.

Ein Klavier, ein Kontrabass, Schlagzeug, Klarinetten mit etwas Elektronik. Normales Band-Equipment. Dazu aber rechts ein Tisch mit Bildschirmen, PC und Steuergeräten – die Klaviatur Reinhard Gellers, der als „Bildersolist“ die Musik seiner Kollegen fürs Auge aufbereitet. Breit aufgespanntes Tuch ist seine Resonanzfläche, durch drei hinter dem Publikum aufgestellte Beamer visuell zum „Klingen“ gebracht. Die etwa 40 Zuhörer werden zunächst behutsam in die Welt von Scriabin Code hineingeführt: Klackernde Geräusche vom Schlagzeug, tastende Pianotöne, tief hinabtauchende Basswolken markieren den Einstieg. Zur kühlen Mechanik eines sich verdichtenden Rhythmus tanzt ein Kreisgebilde über die Leinwand, zieht durch eine Pastelllandschaft eine Schleppe aus Rautenmustern in stetem Farbwechsel hinter sich her. Die Klarinette übernimmt die Regie, legt aus verfremdeten Tönen einen Klangteppich aus – und bringt ein 3D-Gebilde auf der Leinwand zum Tanzen. Eine Poesie von ganz eigener Färbung und Temperatur kündigt sich an – die im Folgenden durch ein erstaunlich variables, mal kühles, mal aufbrausendes, von großen Könnern meisterlich formuliertes Gesamtkunstwerk hindurch buchstabiert wird, fesselnd, eigenwillig, experimentell, fernab bloßer Gefälligkeit. Neben einer Band, die irgendwo zwischen Free-Jazz und Avantgarde unterwegs ist, und dem Bildzauber aus Gellers PC hat Scriabin Code indes noch ein drittes, tragendes Element: die Musik des Namensgebers der Band, Alexander Skrjabin (1872-1915), Avantgardist, Visionär, Exzentriker, zu seiner Zeit zumeist unverstanden – und einer, der als Synästhet schon vor über 100 Jahren Ernst machte mit dem Zusammenhang von Hören und Sehen, der ein Farbenklavier erfand und über multimediale Konzerte nachdachte. Seine Musik lag im Blauen Haus bei der Pianistin Asli Kiliç in besten Händen. Ihr ungemein ausdruckstarkes Spiel lotete Skrjabins Musikwelt aus zwischen noch tiefgründig romantischem Empfinden auf der einen Seite und verstörenden, wilden, fast schmerzhaften Klangbildern auf der anderen. Ein Höhepunkt: „Vers la flamme“, das sich aus düsteren Akkorden heraus Zug um Zug in ein Feuermeer hineinbrennt, fern der traditionellen Tonalität, mit grellen, Funken schlagenden Höhen, wie Alarmtöne herausgestanzt – ein Stück, das laut Albrecht zu Skrjabins Zeiten mit allen Konventionen brach. Geller schuf dazu ein beständig kreisendes Farbrad mit silbrig schimmernden Texturen – wie eine Öffnung in einen Tunnel, in ein Wurmloch, das sich immer neu und lockend auffaltet und sich dem Betreten doch stetig entzieht. Kiliçs Interpretation kurzer Skrjabin-Preludes gab der Band die motivischen und atmosphärischen Vorlagen, aus denen ihre Kollegen ihre Bilder destillierten. Bilder von Welten im „Nebel“, vom Spiel der „Wellen“, von „Hektik“, vom „Verlangen“ oder von einer „Hetzjagd“, immer visuell akzentuiert durch punktgenau zum Rhythmus pulsierende blühende Farbgewölle, tanzende Muster, sich verschlingende Linien, schwebende, kippende, hüpfende Gebilde, die wie einer Landkarte abgelauschte Inseln wirken, Strukturen, mal geometrisch streng, mal chaotisch, mal hektisch und flammend, mal aus blassem Nebel-Weißgrau fahl aufleuchtend. Immer ist das visuelle Geschehen im Fluss, folgt die Bildlichkeit dem musikalischen Duktus, kehren Bilder variiert wieder zum Rückfluss der Musik in die leitmotivischen Ausgangspunkte. Mal wird auch Kunst zitiert, zerlegt, neu zusammengesetzt wie etwa ein Bild des Avantgardisten Robert Delaunay, manchmal läuft auch der Schatten einer Gestalt durch das Bild. Immer wieder lohnt ein Blick in die Ecken, wo Geller hier und da mal was Kleines, Beiläufiges sich kräuseln und um Aufmerksamkeit ringen lässt. – Freilich, etwas mehr Raum wünscht man sich dem opulenten Bildtheater, als es im Blauen Haus möglich ist. Die Musik schreitet dazu einen weiten Kosmos ab. Mal webt sie reine Klang- und Geräuschteppiche für behutsame solistische Vorstöße, immer wieder auch elektronisch verfremdet wie etwa von Martin Albrecht an der Klarinette. Mal explodiert sie in ein Allegro furioso wie in „Hetzjagd“, wo sich Ausnahmepianist Daniel Prandl fast in einen Rausch hinein improvisiert, dann auch Martin Albrecht in wirbelnden Läufen sein enormes virtuoses Können loslässt – Szenenapplaus für die Solisten. Oft wirkt die Musik auch kühl, kristallin, beschränkt auf wenige, die Aufmerksamkeit aufsaugende fein ausformulierte Töne. Bassistin Katharina Groß legt streichend und zupfend solide, farbig modulierte Fundamente. Und Schlagzeuger Dirik Schilgen fasziniert selbst dann, wenn er nicht gerade im Vordergrund steht, so präzise und zugleich enorm variabel ist sein Spiel, das permanent aus den Töpfen und Tellern Neues zu generieren scheint. Für den großen Beifall des Publikums nach der gerade verklungenen „Hetzjagd“ dankte die Band mit der etwas stilleren Komposition „Doppelecho“ als Zugabe, die auf dem hinreißenden „Canon“ des gerade erst zwölfjährigen Skrjabin beruht. In seiner Moderation kündigte Albrecht, Komponist und Mastermind der Gruppe, an, dass nach drei Jahren mit Skrjabin nun an einem neuen Programm gefeilt wird. Es soll sich am Bauhaus-Jubiläum nächstes Jahr orientieren. Dafür werde die Gruppe dann neue Komponisten für sich entdecken – und in die dritte Dimension vorstoßen.

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