Donnersbergkreis „Die Geschichten kommen zu mir“

Mit ruhiger, rauchiger Stimme entführte Bernhard Schlink seine Zuhörer in das Leben seiner Protagonistin Olga, eine Geschichte,
Mit ruhiger, rauchiger Stimme entführte Bernhard Schlink seine Zuhörer in das Leben seiner Protagonistin Olga, eine Geschichte, deren Anfänge noch zurückreichen bis in die Kaiserszeit.

«KIRCHHEIMBOLANDEN.» Bernhard Schlink erwies sich am Montagabend als Publikumsmagnet. Quer durch alle Altersklassen waren die Besucher in die Orangerie gekommen, um dicht gedrängt die Lesung aus seinem neuen Roman „Olga“ zu hören. Bereits am Vormittag stand der Autor einem – nach seinen Worten sehr freundlichen – Schülerpublikum bereits Rede und Antwort und war mit den Schülern gut ins Gespräch gekommen. Am Abend stand die Lesung für die Öffentlichkeit an, die leider vom Lärm der letzten Stunden der Frühjahrskirmes direkt vor der Fensterfront des Saales beeinträchtig wurde und das Zuhören zur echten Konzentrationsaufgabe werden ließ. Doch Schlink ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und meisterte diese Hürde – auch dank verstärkendem Mikrofon. Eine ruhige, raue Stimme entführte die Besucher in eine andere Welt und zu Menschen, die ihr Leben hätten anders leben können, wenn die Umstände es erlaubt hätten. Olga Nowak, die Hauptfigur des Romans „Olga“, ist solch ein Opfer der Lebensumstände ihrer Zeit. Aus bescheidensten Anfängen erkämpft sie sich mit gesundem Menschenverstand und Ehrgeiz ihren Weg durch neun deutsche Jahrzehnte. Ihr Geliebter aus feinen Kreisen, der von ihr innigst geliebte Herbert, träumt von Größe und Heldentum in der Ferne – und scheitert an den Realitäten. Ferdinand, in dessen Familie Olga ihre letzten Jahre verbrachte, rekonstruiert ihre Lebensgeschichte. Schlink liest den Anfang seines Romans. Er schildert die ersten Jahre seiner Protagonisten, in denen schon der weitere Lebensweg angelegt und festgezurrt wurde. Olga ist zum größten Teil fremdbestimmt, sogar ihr Name soll an die Verhältnisse angepasst werden. Herbert rennt schon als Kind durchs Leben, rennt durch die Vielzahl der Möglichkeiten, die ihm als Kind der besseren, wohlhabenden Gesellschaft aufgezeigt werden. Doch er scheint vor seinen eigenen Wünschen ebenfalls fortzulaufen, wenn er sich nicht mit allen Konsequenzen für seine große Liebe Olga entscheiden kann und dementsprechende Folgen aufzunehmen bereit ist. Eine eigene Welt, die lange zurückzuliegen scheint, tut sich dem Zuhörer auf. Schlink steht sowohl vor der Pause als auch zu Beginn des zweiten Teils der Lesung seinem Publikum für Fragen zur Verfügung. Sie kommen zunächst langsam und zögernd, doch helfen sie, Werk und Autor besser zu verstehen. So erklärte Schlink, dass seine Figur „Olga“ aus den zahlreichen tapferen Frauen, die oft weit unter ihren Fähigkeiten lebten, aus seiner Biographie entstanden ist. Seine Großmutter, Tanten und deren Freundinnen, die zu Anfang des letzten Jahrhunderts aufwuchsen, regten ihn an, diese Gestalt zu schaffen. Eigentlich sollte Herbert, der Abenteurer und Kriegsheld, die Hauptfigur werden, erklärt Schlink, der als renommierter Essayist aktuell in der Diskussion um Leitkultur in der Gesellschaft um seine Sichtweise immer wieder zu Wort gebeten wird. Doch die Frauengestalt Olga wurde spannender für ihn. Das Schicksal der Frauen in einer Zeit, die heute so weit weg scheint, die trotz allem nicht verzweifelten und ihren Lebensweg fanden, hat den Autor gefesselt. So berichtet Bernhard Schlink von seiner Großmutter als einer Literaturliebhaberin, die nicht studieren durfte, die ihn aber immer mit ihrer reichen Kenntnis beeindruckte. „Ich mache keine Geschichten, ich warte auf die Geschichten, sie kommen zu mir“, erklärt er das Auffinden seiner Themen. Gerade schreibe er an einem Erzählband, berichtet er. Bei der Verfilmung seines wohl berühmtesten Buches „Der Vorleser“ arbeitete er sehr eng mit dem Regisseur zusammen, sehr zufrieden war er mit dem Ergebnis des 2008 erschienen Films. „Es war mir wichtig, eng in die Verfilmung einbezogen zu werden. Und wenn Sie genau schauen, dann sehen Sie auch mich in einer Nano-Sekunde im Film“, berichtet er schmunzelnd. Seine Romane um den Privatdetektiv Gerhard Selb werden jetzt ebenfalls demnächst verfilmt, verrät er der RHEINPFALZ. An „Olga“ habe er fast drei Jahre lang geschrieben, bis heute ist Schreiben für ihn Hobby und Lebensinhalt zugleich. Der Schriftsteller pendelt zwischen Berlin und New York und hat sich ein bisschen in die kleine Residenz verliebt. „Ich bin begeistert, wie schön es hier bei Ihnen ist“, schwärmt er von seinem Stadtrundgang und verspricht wiederzukommen. Katharina Elsinger, die zweite Vorsitzende des veranstaltenden Literaturvereins, verabschiedete den sympathischen Autor. „Olga gehört zu den Frauen, die sich einprägen!“ Nicht nur mit Applaus wurde dem großen Autor gedankt, Riesling und Pralinen aus der Region kamen hinzu.

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