Donnersbergkreis Der Zahnarzt namens Heimat

Als Komödiant und fesselnder Erzähler hat Sasa Stanisic sein Publikum schnell im Griff.
Als Komödiant und fesselnder Erzähler hat Sasa Stanisic sein Publikum schnell im Griff.

«Bolanden.» „,Herkunft’ ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache und Scham, Ankommen und Zurechtkommen, Glück und Tod“, schreibt der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete, sehr erfolgreiche Schriftsteller im Klappentext seines Werks. In der bosnischen Kleinstadt Višegrad geboren, strandete er mit 14 Jahren als Kriegsflüchtling in Heidelberg. Er studierte Deutsch als Fremdsprache und Slawistik. Stanisic hält keine herkömmliche Lesung – vielmehr gibt er ein szenisches Kammerspiel: Weitgehend frei und im Stehen ist er Darsteller seiner Texte, lebhaft und humorvoll. Er sprüht nur so vor Temperament. „Ich wäre bei dieser Hitze nicht zu mir gekommen“, freut er sich. Als Komödiant und fesselnder Erzähler hat er sein Publikum schnell im Griff. Mit der Geburt 1978 setzt er im „Brief an die Ausländerbehörde“ ein, der natürlich so nie abgeschickt wurde. „Mitten in einer Wehe schlug auch noch der Blitz ein, dass alle dachten, aha, soso, jetzt also kommt der Teufel in die Welt. So unrecht war mir das nicht, ist doch ganz gut, wenn die Leute ein bisschen Angst haben vor dir, bevor es überhaupt los geht.“ Und dann spricht er von Großmutter Kristina, die sich in den ersten Jahren liebevoll um ihn kümmerte, da beide Eltern studierten: „Sie war bei der Mafia, und bei der Mafia hat man viel Zeit für Kinder.“ Großvater Pero war mit Herz und Parteibuch Kommunist und nahm den Enkel mit auf Spaziergänge mit den Genossen. Wenn sie, wie üblich, politisierten, schlief der Kleine super ein. „Mit vier konnte ich mitreden.“ Stanisic amüsiert, erntet Lacher. Nur ein Hauch von Akzent deutet auf seine jugoslawischen Wurzeln hin. Religion? Keine, so die Angabe an die Behörde. Für Großvater Pero war die Kirche „der größte Sündenfall des Menschen, seit die Kirche die Sünde erfunden hat.“ Nena, die Großmutter mütterlicherseits, liest die Zukunft aus Nierenbohnen, die sie auf den Teppich wirft. Der Vater Serbe, die Mutter Bosniakin, die Kindheit rundum glücklich. Fan des Fußballvereins Roter Stern Belgrad. 1991 zerfällt der Vielvölkerstaat, in Jugoslawien herrscht Krieg. Im August 1992 flieht die Mutter mit dem 14-jährigen Sasa nach Deutschland, der Vater kommt ein halbes Jahr später nach. Das Geld ist knapp, beide Eltern schuften weit unter ihrer Qualifikation. Die Mutter in einer Großwäscherei, der Vater macht sich mit schlechten Jobs den Rücken kaputt. Der Junge lernt Deutsch in einer Klasse, in der niemand von hier ist. „Die neue Sprache lässt sich einigermaßen gut packen, aber ganz schlecht transportieren. Du verstehst mehr, als du sagen kannst. An den Gepäckbändern der Deklination vergisst du Endungen, die deutschen Wörter sind zu sperrig, die Fälle geraten durcheinander, und die Aussprache guckt immer raus.“ Heute lebt der Autor in Hamburg, hat einen deutschen Pass und einen Sohn. Seine Familie ist über die ganze Welt verstreut. Fragt ihn jemand nach der Bedeutung von „Heimat“, nennt er den gleichnamigen Zahnarzt, der ihm kostenfrei die Zähne sanierte. Unterm Strich bleibt nicht zuletzt ein packend geschriebenes Plädoyer für Integration. 2009 begibt er sich mit der Großmutter auf Spurensuche im sterbenden Bergdorf Oskoruša. Gavrilo, ein Verwandter, führt sie über den Friedhof. Fast auf jedem Grabstein steht der Name Stanisic. „Hier“, sagt Gavrilo, und gießt etwas Schnaps in die Erde, „liegt dein Urgroßvater. Die Urgroßmutter hat nur heimlich getrunken.“ Später trinkt Sasa Wasser aus dem Brunnen, den der Urgroßvater aushob. „Dein Opa ist in Oskoruša geboren. Aus dieser Quelle hat er getrunken, in diesen Wäldern hat er Pilze gesucht und den ersten Bären erlegt, da war er keine acht Jahre alt,“ sagt die Großmutter. „Zugehörigkeitskitsch“ denkt er bei Gavrilos Frage nach seiner Herkunft. „Herkunft“, das ist insbesondere die Großmutter, die durch schleichende Demenz die eigene Herkunft verliert. Der Enkel besucht sie im Altenheim, wo sie Realität und Erinnerungen durcheinanderbringt. Sie will sich aufmachen zu einer Beerdigung, die nicht stattfindet. Etwa ihre eigene? Fabulierende Poesie dringt mit Höhlen-, Baumdrachen und Gestaltenwandlern in die Familien- und Lebensgeschichte ein. Behutsam fängt der Erzähler die Oma auf, lässt schließlich per Handzeichen den Saal darüber abstimmen, ob er ihr die Wahrheit sagen soll, dass ihr Pero schon lange tot ist. Und über die Baumdrachen. Die, weiß die alte Frau, sammeln glänzende Dinge: „Dann dürfen wir uns nicht in Gold kleiden, wenn wir fürchten müssen, einen zu treffen.“ Nicht enden wollender Applaus. Thomas Mayr, Vorsitzender des Donnersberger Literaturvereins, spricht seine tiefe Bewunderung für „diese schöne Mischung aus Autobiografie, Fantastischem und philosophischen Gedanken“ aus. Eine Schlange von Lesern lässt sich das Buch signieren. Info Herkunft, erschienen bei Luchterhand, 360 Seiten, gebunden, 22 Euro.

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