Donnersbergkreis Der Wald als Braut

Großer Andrang an einem Samstagabend: Madeleine Giese und Rainer Furch hatten für den literarischen Abendspaziergang zum Themenk
Großer Andrang an einem Samstagabend: Madeleine Giese und Rainer Furch hatten für den literarischen Abendspaziergang zum Themenkomplex »Wald – Wasser – Wandern« die passenden Textbeispiele in überlegter Systematik ausgewählt.

«Sippersfeld.» Wer hätte das gedacht? Ein literarischer Abendspaziergang des Sippersfelder Kulturvereins entlang den Sippersfelder Weihern, und dies zu vorgerückter Abenddämmerung und nur durch zwei Protagonisten begleitet, wurde wahrlich überrannt vom riesigen Besucherandrang. Der trotzte dem WM-Fieber und Schwimmbadverlockungen und brauchte – beflügelt von Lyrik- und Prosarezitation des Künstlerehepaares Madeleine Giese und Rainer Furch – sein Kommen nicht bereuen.

Bekanntlich versetzt der Glaube Berge, machte bei dieser rundum schlüssigen Veranstaltung zumindest aus dem Pfälzerwald eine Theaterkulisse; oder führte bei dieser eindringlichen Deklamation an wechselnden „Schauplätzen“ zu Visionen und Imaginationen. Da verlieh die Sprache von Klassikern, Romantikern, von Humoristen und Aphoristikern der Fantasie Flügel: wurden Weiher zum Meer, Weggabelungen zum Scheideweg oder Irrweg des Lebens, wurde überhaupt die Natur zum Sinn- und Abbild von Transzendenz, bekam allegorische Deutung. Dass sich die stattliche Besucherschar am Samstag nicht im Dickicht des Dschungels an literarischen Äußerungen verirrte, lag an der guten Textauswahl. Madeleine Giese, selbst Autorin und bekannte Schauspielerin, sowie ihr Ehemann Rainer Furch, Schauspieler beim Pfalztheater und Film, hatten zum Themenkomplex „Wald – Wasser – Wandern“ die passenden Textbeispiele in überlegter Systematik ausgewählt. Meist kurz und bündig die zugrundeliegenden Aspekte darstellend. Mit dem Filmkomiker und Satiriker Heinz Ehrhardt begann es „zwischen Bäumen“ mit der Schlussfolgerung „in Gegenwart von Baum und Tier, da kommen die Gedanken mir“. Weitere Sätze und Schätze von Literaten hoben sie mit dem Sommer-Gedicht von Joachim Ringelnatz, der in der Sommerfrische Kühlung und Versenkung im Gras fand. Nach Hermann Hesse sind im Gedicht über Bäume diese wie Heiligtümer, sie predigen das Urgesetz des Lebens. Und für den dänischen Dichter Sören Kierkegaard wächst der Wald schön und steht wie eine Braut da. Die Textrezitation und Darstellung in Dialogform, in Emphase wie auch in stiller, fast meditativer Kontemplation – wo textlich gefordert – machte die verschiedenen literarischen Sichtweisen zu einem jeweiligen Leitbild deutlich: So erscheinen Bäume des Lebens auch in der Alltagssprache, wenn von Wurzeln schlagen, Platz finden oder vom Stammbaum die Rede ist. Die sehr durchdacht nach verschiedenen Blickwinkeln zusammengestellte und konsequent und stringent vorgetragene Textauswahl gab den Blick frei auf verschiedene Sichtweisen der Literaten. Idyllisch verklärend wie am Beispiel des Lindenbaums: In dessen Schatten beschreibt schon der mittelalterliche Dichter und fahrende Minnesänger Walther von der Vogelweide „Unter der Linden“ das Liebeserlebnis eines Mädchens, und Wilhelm Müllers Gedicht „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum“ inspirierte sogar den herausragenden deutschen Liedkomponisten Franz Schubert zu einer innigen Ode an diesen symbolträchtigen Baum. Und der fand sich dank der Ortskenntnis der Veranstalter an einem lauschigen Plätzchen. Auch der Birkenbaum mit den heilenden Kräften seiner Säfte kam zu literarischen Ehren. Mitleid mit den gefällten Bäumen hatte der Spätromantiker Conrad Ferdinand Meyer, dem Holzfäller oder Frevler auf der Spur: „Der verwundete Baum“ zeigt diesen vom Beil zerschnitten, er habe dabei viel gelitten. Eine lehrhafte Parabel, die in dieser beklemmenden Vortragsform tiefe Betroffenheit auslöste. Diese Beklemmung löste sich im ständigen Szenen- und Genrewechsel aber bald, als der „Purzelbaum“ im Gedicht von Christian Morgenstern Rätsel aufgab. Die urwüchsige Landschaft im Naturschutzgebiet mit ihren Biotopen und Fauna und Flora lockte schließlich auch Feen und Nixen hervor. Im eigens ausgewählten Gedicht und am Ufer des Retzbergweihers vorgetragen, entstieg so imaginär in Goethes Ballade „Der Fischer“ eine solche aus den Fluten. Frevel, Raubbau an der Natur ist eine ihrer verklausulierten Botschaften, in mythischem Bild metaphorisch ausgedrückt: Demnach fragt sie den Fischer „Was lockst du meine Brut mit Menschenlist hinauf in Todesglut?“ Somit regte der literarische Abendspaziergang nicht nur zum Lustwandeln, sondern auch zur weiteren Beschäftigung mit dem Themenkreis an. Was sich danach in geselliger Runde in gemeinsamen Gesprächen verdichtete und festigte.

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