Karlsruhe Zweimal dem Tod ins Gesicht geblickt

Pilot Spohn fährt den Hubschrauber aus dem Hangar der BG Klinik.
Pilot Spohn fährt den Hubschrauber aus dem Hangar der BG Klinik.

Die Rotorblätter des gelben ADAC-Rettungshubschraubers wirbeln Laub auf der Wiese neben der Einfahrt einer Firma auf. Ein Mitarbeiter ist bewusstlos zusammengebrochen. Seine Kollegen haben den Notruf gewählt. Die Rettungsleitstelle schickt einen Rettungswagen. Der Notarzt kommt mit dem Hubschrauber Christoph 5, der bei der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BG) in Oggersheim stationiert ist. Weniger als zehn Minuten nach dem Notruf ist der Arzt vor Ort. Es ist der vierte Einsatz der Crew an einem sonnigen Dezembertag. Auf dem Flug bahnt sich ein spektakulärer Sonnenuntergang über den Kirchtürmen der Kleinstadt an, doch den zu bewundern hat das Team keine Zeit. Konzentriert bereiten sich Pilot Norbert Spohn, Unfallchirurg Holger Keil und Notfallsanitäter Felix Juarez auf den Einsatz vor. Spohn landet den Hubschrauber sanft neben dem mit leuchtenden Kerzen geschmückten Tannenbaum der Firma. Routiniert schultern Keil und Juarez die Notfallrucksäcke und eilen zum Team vom Rettungswagen, das bereits lebensrettende Maßnahmen ergriffen hat. Auch Pilot Spohn bleibt nicht beim Hubschrauber, sondern hält den Infusionsbeutel, während seine Kollegen um das Leben des Mannes kämpfen, der neben den Aschenbechern der Raucherecke am Rande des Geländes liegt. Kurz vor Feierabend hatten Mitarbeiter den Kollegen gefunden. Sie sind fassungslos, als die intensiven Bemühungen scheitern und der Mann stirbt. „Wie soll ich das den Angehörigen sagen?“, fragt ein Mitarbeiter die Polizisten, die wegen des Todesfalls vor Ort sind. Sie müssen die Ursache klären. Sanitäter Juarez hat eine Decke über den Leichnam gelegt. „Wir haben den Tod aus unserer Gesellschaft verbannt“, bedauert Juarez später in der Leitstelle. In Deutschland kann man alt werden, ohne jemals einen toten Menschen gesehen zu haben. Wenn es soweit ist, reagiert man mit Hilflosigkeit. Das Team von Christoph 5 blickt an diesem Tag dem Tod gleich zweimal ins Gesicht. Bei einer alten Dame im Pflegeheim kann Unfallarzt Keil nur noch den Tod feststellen. Friedlich liegt die Frau auf ihrem Bett, die Augen sind geschlossen, der Mund steht ein wenig offen. An den Wänden hängt ihr Hochzeitsbild, ein Porträt ihres lange verstorbenen Mannes und ein Foto, welches das Ehepaar inmitten der halbwüchsigen Kinder zeigt, die inzwischen wahrscheinlich längst erwachsen sind. Auf die Frage, warum in diesem Fall ein Hubschrauber kommen musste, antwortet Spohn, dass er hier als Notarztzubringer fungiert. „Die Rettungsleitstelle muss bei Notrufeingang mit Verdacht des Todes einen Rettungswagen und einen Notarzt disponieren. Auch wenn der Patient vielleicht mit seinen gelähmten Gliedmaßen dauerhaft im Bett liegt und der Tod vorhersehbar war“, ergänzt Juarez. Das Einsatzgebiet von Christoph 5 hat über 70 Kilometer Radius. In der Region ist zudem in Karlsruhe Christoph 43 der DRF Luftrettung stationiert, der unter anderem auch die Südpfalz versorgt, sowie in Mannheim Christoph 53, ebenfalls von der DRF Luftrettung. In den von diesen Rettungshubschraubern abgedeckten Gebieten gibt es Orte ohne Krankenhaus, zu denen ein Notarzt im Auto zu lange bräuchte. Neben der Notversorgung vor Ort mit oder ohne anschließendem Transport des Patienten im Hubschrauber gibt es auch sogenannte Sekundär-Einsätze. Das Notfallteam transportiert dabei einen Patienten von einem Klinikum zu einem anderen, wo die Ärzte ihn besser versorgen können. Diese Flüge machen den größten Teil der Einsätze aus, gefolgt von Verkehrsunfällen, neurologischen Notfällen, Häuslichen- und Freizeitunfällen sowie Unfällen bei der Arbeit oder in der Schule. Sanitäter Juarez, Mediziner Keil und Pilot Spohn haben schon viel gesehen. „Wenn man Kinder im gleichen Alter hat, kann ein Einsatz belastend sein“, meint Spohn. Auch wenn Angehörige dabei sind, wird die Sache oft emotionaler. „Jemand wird von einem rückwärts fahrenden Lkw überfahren, seine Frau steht daneben und kann es nicht verhindern“, erzählt Juarez von einem Unfall, der ihm noch im Gedächtnis ist. „Die Emotionen bauen sich aber sehr schnell ab, ich nehme sie nicht mit nach Hause. Das heißt aber nicht, dass das nicht noch kommt“, ergänzt er. „Reden hilft nach einem belastenden Einsatz“, sagt Spohn. Auch weitergehende seelische Hilfe können die Retter in Anspruch nehmen, wenn es nötig sein sollte. An diesem Dezembertag sind sie auch körperlich gefordert. Eine alte Dame mit Verdacht auf Schlaganfall muss aus dem Schlafzimmer im ersten Stock ihres Hauses in den Rettungswagen gebracht werden. Die Treppe ist sehr eng und die Feuerwehr mit einer Drehleiter bereits vor Ort. Unfallarzt Keil steigt beherzt aus dem Fenster auf die Drehleiter, um die Trage mit der Frau in Empfang zu nehmen. Physische und psychische Fitness verlangen die Einsätze, großes medizinisches, technisches und handwerkliches Wissen. Zurück auf dem BG-Gelände in der Luftrettungsstation schieben Spohn und Juarez den Hubschrauber in den Hangar. Zuvor ist die Maschine von den Technikern noch aufgetankt worden. Am Ende des langen Arbeitstags, der von Sonnenauf- und -untergang bestimmt wird, stehen noch einige Formalitäten an. Pilot Spohn muss sich noch dazu um den letzten Schliff bei der Einrichtung des neuen Hangars kümmern. Mediziner Keil bereitet einen Vortrag vor. Und Notfallsanitäter Juarez rückt einer defekten Tür des Hangars zu Leibe. Am nächsten Morgen wird das Team den Hubschrauber vor Sonnenaufgang wieder aus dem Hangar schieben. Dann geht es wieder los.

Felix Suarez tankt auf.
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Arzt Keil betreut eine Frau.
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