Karlsruhe Was ist die Kirche wert?

Die protestantische Heilig-Geist-Kirche und die katholische Kirche St. Ludwig in Speyer sollen beide verkauft werden. Die Stadt Speyer strebt eine „schonende“ Nachnutzung an. Wie bemisst man den Wert einer Kirche und kann man sie einfach als Immobilie behandeln? Rebecca Ditt hat mit dem Architekturexperten Henner Herrmanns gesprochen.

Herr Professor Herrmanns, wann hat das Kirchensterben eingesetzt?

Angefangen hat das Kirchensterben in Westdeutschland in den 1990er-Jahren. Als wir – die Universität und die Hochschule Koblenz – 2006 ein Baukolloquium zum Thema Kirchensterben organisiert haben, war das Problem bereits eklatant. Hierzu haben wir seinerzeit das Buch herausgegeben: „Das letzte Abendmahl – Umnutzung, Verkauf und Abriss von Kirchengebäuden in Deutschland“. Kann man ein Kirchengebäude Ihrer Ansicht nach nur als Immobilie betrachten oder hat die Institution Kirche auch eine moralische Verpflichtung, die man nicht nur unter rein wirtschaftlichen Aspekten betrachten kann? Nach dem geltenden Kodex des kanonischen Rechts (Kanon 222, § 1 und Kanon 1254, § 2) gehört die Erhaltung von Kirchen zu den wichtigsten Aufgaben der katholischen Kirche. Die Tatsache, dass der christliche Glaube in unserer permissiven, agnostischen Zeit immer mehr an Bedeutung verliert, zeigt sich überdeutlich an der Schließung der Gotteshäuser, die nicht mehr genutzt werden. Die Kirchen kommen meines Erachtens ihrer moralischen Verpflichtung nicht nach, die Kirchengebäude zu erhalten. Tatsächlich will die Kirche ihre Gotteshäuser einfach nur schnell loswerden. Zum Glück sind die großartigen Kathedralen in Köln, Regensburg, Bamberg oder Hildesheim unter staatliche Fürsorge gestellt worden. Kirchen stellen mehr dar als materieller Wert und konvertible Verfügungsmasse einer Glaubens-Körperschaft. Es ist auf jeden Fall ein Fehler, Kirchen aufzugeben, die nicht mehr so häufig genutzt werden. Sie wirken nicht nur als starkes Branding für das Christentum in unseren Städten und Dörfern, sondern dienen darüber hinaus als baugeschichtliche Zeugnisse. Wie bemisst man den Wert einer Kirche? Die Kirche läuft Gefahr, aufgrund des sinkenden Kirchenbesuchs und aktueller und mittelfristiger finanzieller Einbrüche im Kirchensteueraufkommen Kirchen zu behandeln wie gewöhnliche Immobilien, ihre Unterhaltung kleinlich zu bemessen nach Hauptnutzfläche, umbautem Raum und Nutzungsintensität. Dabei wird offensichtlich vergessen, dass eine Kirche als Gotteshaus erbaut wurde. Erfahrungsgemäß wird der Wert einer Kirche unter ökonomischen Gesichtspunkten wie folgt berechnet: Grundstückskosten minus Abrisskosten. Das ist fatal, denn ihr Wert lässt sich eben nicht nach marktwirtschaftlichen Maßstäben berechnen. Kirchen sind durch ihre Funktion einer auf Wirtschaftlichkeit reduzierten Bewertung entzogen und unterscheiden sich somit von profanen Immobilien. Welche Folgen hat es für die Stadtplanung, wenn eine Kirche umgenutzt oder gar abgerissen wird? Der Abriss einer Kirche hat fatale Folgen, weil man dadurch den „Verlust der Mitte“ beklagen muss. Kirchen gehören zu den signifikanten Symbolen im Stadtbild. Bei einer Umnutzung zerstört man die Konnotation, das heißt, wenn Kirche draufsteht, müsste Kirche drin sein. Ist es nicht so, führt dies zur Verunsicherung in der Wahrnehmung.

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