Karlsruhe „Menschenrechte sind vertrackte Sache“

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Amazon, Apple, Google, Ikea, Nestle, Bayer, Daimler und die Deutsche Bank: Die Unternehmenslogos auf dem Plakat für den 11. Kongress des globalisierungskritischen Netzwerks Attac Karlsruhe warfen bei Besuchern die eine oder andere Frage auf. „Es handelt sich bei all diesen Firmen nicht um unsere Sponsoren“, stellte Attac-Aktivistin Lissi Hohnerlein eine Stunde nach Kongressbeginn klar, die Konzernlogos standen nämlich stellvertretend für die durch die Wirtschaftspolitik von Großkonzernen begangenen Menschenrechtsverletzungen Eigentlich sollte der bekannte Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck von der Ausbeutung von Arbeitern in Entwicklungsländern durch internationale Firmen berichten. Doch weil der Rechtsbeistand von Whistleblower Edward Snowden krankheitsbedingt absagen musste, sprang kurzfristig Silke Kleinstück in die Bresche und las einige Passagen aus Kalecks Buch „Unternehmen vor Gericht. Globale Kämpfe für Menschenrechte“ vor. Nach Kalecks Einschätzung sind transnationale Unternehmen „wesentliche Akteure der globalen Weltwirtschaft“ und einige davon beteiligten sich „sehenden Auges“ an Menschenrechtsverletzungen, wie bei der Palmöl-Produktion in Borneo oder beim Nähen von Markenkleidung in Bangladesch. Mit dem Tübinger Politikwissenschaftler Jürgen Wagner, dem Frankfurter Psychologen Thomas Gebauer und dem Karlsruhe Kongressorganisator Georg Rammer, standen immer noch drei ausgewiesene Menschenrechtsexperten vor über 200 Zuhörern auf dem Podium. „Die Menschenrechte gelten für die westliche Wertegemeinschaft nur so lange sie das aktuelle Machtgefüge und das neoliberale Wirtschaftssystem nicht gefährden“, betonte Rammer. Trotz der ständigen Beteuerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck, stelle sich die Frage, ob Menschenrechte in Deutschland faktisch seien oder nur gepredigt würden. Auch Gebauer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international, ging mit der Kanzlerin hart ins Gericht. Bei der Eröffnung der Weltgesundheitsversammlung in Genf habe er ihren Forderungen für das Recht aller Menschen auf Gesundheit und der Unteilbarkeit der menschlichen Würde zuhören dürfen. „Das klang alles ganz wunderbar“, so Gebauer, und fast hätte man darüber vergessen können, dass nicht zuletzt die deutsche Wirtschaftspolitik, die Mitverantwortung für die weltweite Zunahme sozialer Ungleichheit und damit für die Verletzung eines „ganzen Bündels“ von Menschenrechten trage. „Die Sache mit den Menschenrechten ist durchaus vertrackt“, brachte Gebauer den Widerspruch zwischen öffentlichen Bekenntnissen zu und steigenden Verletzungen gegen Menschenrechte auf den Punkt. Ursache der Probleme, ist nach Gebauers Erfahrungen, vor allem die schier endlose Spirale aus Machtstreben, Korruption, neoliberalem Wirtschaften und Zwang zur Rendite, an deren Ende Mensch und Natur entrechtet und als bloße Ressourcen des globalen Wirtschaftskreislaufs betrachtet werden. Ohne ein schnelles Umdenken und eine „Politik des sozialen Ausgleichs“ sieht Gebauer nur wenig Hoffnung auf Besserung. „Man muss kein Pessimist sein, um vorauszusagen, dass das von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommene Verrecken anhalten wird, wenn die Dynamik, die mit der Entfesselung des Kapitalismus ausgelöst wurde, nicht gestoppt wird“. Nach Ansicht von Wagner trägt auch die deutsche Außenpolitik einen guten Teil zu der globalen Ungleichheit bei. In den 1960er Jahren, seien die Auslandseinsätze der Bundeswehr noch als „humanitäre Einsätze“ deklariert worden, in den 1990er Jahren, begann dann hinter vorgehaltener Hand ein Fachdiskurs über die strategischen Interessen und ein öffentlicher Diskurs über Menschenrechte. „Spätestens in Afghanistan wurde der Menschenrechtsdiskurs aber an die Wand gefahren und es gab eine zunehmende Ablehnung von deutschen Militäreinsätzen“, so Wagner. Deshalb werde heute wieder ein strategischer Hintergrund in die Öffentlichkeit getragen und damit die Legitimation für die Einsätze gesucht. Mit den Auslandsaussätzen soll laut Wagners Einschätzung aber nur „die Sicherung des freien Welthandels“ und der „ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen“ gesichert werden. „Es geht nicht nur ums Öl“, so Wagner. Ohne Benzin fahren zwar keine Autos, aber ohne Metalle können Autos erst gar nicht gebaut werden.

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