Karlsruhe KIT-Forschung zum Nutzen für Chinas Militär?
Wissenschaft lebt vom Austausch und legt die Grundlage für den Fortschritt. In falschen Händen können wissenschaftliche Erkenntnisse aber zur Gefahr werden. Eine europaweite Recherche zeigte jüngst, wie stark europäische Hochschulen und Forschende mit chinesischen Militäreinrichtungen kooperieren. Etwa 3000 wissenschaftliche Arbeiten unter europäischer Beteiligung könnten von China zur Aufrüstung und zum Ausbau des militärischen Sicherheits- und Überwachungsapparats genutzt werden. Die deutschen Hochschulen seien dabei ohne klare Vorschriften „zwischen Unwissenheit und Naivität gefangen“, schreibt das gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv.
China dagegen verfolge eine klare Strategie: Bis zum 100. Geburtstag der Volksrepublik 2049 will man führende Weltmacht in allen Bereichen werden. Unter Staatspräsident Xi Jinping wurden dazu die Investitionen und die Kooperation in der Wissenschaft deutlich ausgebaut. Gleichzeitig verstärkte die Kommunistische Partei ihre Kontrolle über die chinesischen Universitäten. Einige von ihnen unterstehen direkt der Zentralen Militärkommission des Landes. Intensiv setzt China dabei auf „Dual Use“, also den doppelten Nutzen von Technologie, sowohl für zivile als auch militärische Zwecke.
„Riskante Universitäten“
Unter den Kooperationspartnern einiger chinesischer Hochschulen, die direkt dem Militär unterstehen oder mindestens eng mit ihm kooperieren sollen, findet sich auch das KIT. In den letzten Jahren sind neun gemeinsame Forschungsarbeiten mit der National University of Defense Technology (NUDT) entstanden. Die NUDT gilt als wichtigste Universität des chinesischen Militärs. Regelmäßig kooperieren Forscher des KIT mit Hochschulen, denen westliche Think-Tanks eine sehr große Gefahr der Weitergabe der Forschungsergebnisse für die Aufrüstung des chinesischen Militärs attestieren. Hunderte solcher Veröffentlichungen finden sich in den Wissenschaftsportalen.
In den besonders sensiblen Feldern IT, Luft- und Raumfahrttechnik, Agrartechnologie sowie Künstliche Intelligenz führte das KIT nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren darüber hinaus vier größere Forschungsprojekte mit chinesischen Universitäten durch.
Eines davon beschäftigte sich mit der Entwicklung einer Technologie zur Überwachung und Aggregation von Wissen. Die Technik soll auch bei der Medienbeobachtung und -überwachung eingesetzt werden können. Partner ist dabei die Tsinghua University, die eine große Nähe zum chinesischen Militär haben soll. Die Rüstungsforschung der Universität laufe teils unter Geheimhaltung. Das KIT verweist darauf, dass die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern von der eigenen Rechtsabteilung geprüft werde. „Potenziell kritische oder uneindeutig unkritische Forschungsthemen werden zusätzlich von der Ethikkommission des KIT-Senats behandelt und im Falle von Bedenken abgelehnt“, heißt es weiter.
Keine einheitlichen Standards
Die ungehinderte Forschung und der Zugang zu Geld sei in China eng mit der Bereitschaft zu militärischer Forschung verbunden, sagt Andreas Seifert von der Informationsstelle. Das Problem liege aber vor allem in Deutschland. Hier fehle es an Wissen, Sensibilität und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem chinesischen System. Eine „pauschalen Verteufelung und Stigmatisierung“ sei derweil unangebracht. Er erinnert, dass China in allen Wirtschaftsverträgen der letzten 40 Jahre einen Technologietransfer zur Bedingung gemacht habe. „Dass chinesische Eigenbau-Transportflugzeuge für das Militär fliegen liegt eher an Airbus, als an einer Kooperation mit einer deutschen Uni. Dass chinesische Züge schneller fahren, als ein deutscher ICE liegt eher an Siemens und der deutschen Bundesbahn, als an einem Doktoranden.“
Keinen Bedarf zur Einführung von Standards in der wissenschaftlichen Kooperation sieht man derweil in der Landesregierung. „Die baden-württembergischen Hochschulen agieren auch in ihrer Zusammenarbeit mit internationalen Partnern grundsätzlich autonom. Es liegt in der Verantwortung der Hochschulen, Partnerschaften im eigenen Interesse gewissenhaft auszuwählen und einzugehen“, heißt es aus dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Man nehme die aktuelle Berichterstattung aber zum Anlass, erneut auf die Beratungsleistungen und existierenden Handreichungen zu Wissenschaftskooperationen mit China hinzuweisen.
Die Verantwortung für die Forschung liegt damit weiter in den Händen der einzelnen Wissenschaftler. Die chinesische Staatsführung verfolgt derweil eine klare Strategie. Mit Hilfe der Forschung will sich die Volksrepublik den Weg zur führenden Weltmacht bahnen. Nicht nur die hiesige Politik tut sich mit Antworten und verbindlichen Regeln für das komplexe Problem schwer. Die hierzulande geltende Forschungsfreiheit will auch in Wissenschaft und Gesellschaft kaum wer aufgeben.
Kritik: Rüstungsforschung
Die Rüstungsforschung am KIT habe System, sagen Kritiker. Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) beschäftigt sich damit seit Jahren. Er fordert eine Zivilklausel, die militärische Forschung grundsätzlich verbietet. 74 Universitäten haben eine solche Klausel bereits umgesetzt. Das KIT lehnt das ab und verweist auf das KIT-Gesetz, das militärische Zwecke der Forschung ausschließt. Diese betrifft im Großforschungs-, nicht aber im universitären Bereich. „Die Zusammenarbeit mit Behörden und Industrie ist beim KIT so etwas wie das Geschäftsmodell. Dadurch wollte man groß werden und in der internationalen Liga mitspielen“, sagt Marischka. Die Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie oder der Bundeswehr gehöre dazu. Marischka verweist dabei besonders auf das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), das eng mit dem KIT kooperiere und von einem Professor der Universität geleitet werde. „Die Rüstungsforschung des IOSB und das KIT sind bis zur Unkenntlichkeit verwoben“, sagt Marischka. Auch mit dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) kooperiert das KIT. Das ICT forscht unter anderem zu Verteidigung, Luft- und Raumfahrt oder Chemie im zivilen und militärischen Bereich.
„Das Fraunhofer IOSB ist engstens mit der Rüstungsindustrie, dem Bundesverteidigungsministerium und der NATO vernetzt“, sagt Marischka. Das Institut erhalte einen beträchtlichen Teil seiner Grundfinanzierung und seiner Drittmittel aus dem Verteidigungshaushalt und führe Forschungsprojekte mit klar militärischer Ausrichtung durch. So werde beispielsweise intensiv an einer Schwarmtechnologie für Drohnen gearbeitet. Durch die Nutzung künstlicher Intelligenz können die unbemannten Luftfahrzeuge ohne menschliches Zutun interagieren, neue Ziele identifizieren und sich gegenseitig ersetzen. Drohnen werden in bewaffneten Konflikten zunehmend wichtig. Bei der Neuordnung der Fraunhofer-Institute sei „Dual Use“ (Nutzung von Technologie für zivile und militärische Zwecke) als „gezielte Strategie“ eingesetzt worden, sagt Marischka. Zuvor arbeitete das IOSB als „reines Militärforschungsinstitut“. 2007 forderte das Bundesverteidigungsministerium von seinen wesentlich aus dem Wehretat finanzierten Fraunhofer-Instituten, „verstärkt die Möglichkeiten von „Dual-use zu nutzen und die Ergebnisse ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auch für zivile Anwendungen fruchtbar zu machen.“
„Hightech-Aufrüstung“
Mit Blick auf Kooperationen wie mit China verweist das IOSB verweist auf „klare Regeln und Verfahren“. Bei jeder Zusammenarbeit, folge das Institut „einem fundierten geschäftspolitischen Prüfprozess“, sagt Ulrich Pontes vom IOSB. Entscheidend seien dabei die Technologieentwicklung, der wissenschaftliche oder volkswirtschaftliche Mehrwert und mögliche Impulse für Fraunhofer. Auf der „Gefahr des unkontrollierten Know-how-Abflusses“ läge ein besonderes Augenmerk. „In diesem Sinne ist uns auch die Frage des Dual Use bewusst“, sagt Pontes. Marischka wird in seiner Kritik auch vor dem Hintergrund aktueller Kriege grundsätzlicher. „Militärische Forschung blockiert immer andere Fortschritte der Wissenschaft. Noch schlimmer, mit den Fortschritten in der Rüstungsforschung kommen wir KI-gestützten Kriegen immer näher und geben die zivile Konfliktbearbeitung aus der Hand.“ Die großen Budgets des Verteidigungsministeriums seien daher jenseits der Rüstungsforschung besser aufgehoben, ist Marischka überzeugt. „Wir sollten in die Forschung investieren, um Kriege zu verhindern. Aber derzeit fließt in die zivile Konfliktlösung viel weniger Geld als in die Hightech-Aufrüstung.