Karlsruhe Kinderschutz in der Corona-Krise

Stellen die Starke Kinder Kiste vor: (v.l.): Katja Peters - Kindergarten St. Franziskus Oberhausen, Jerome Braun - Hänsel + Gret
Stellen die Starke Kinder Kiste vor: (v.l.): Katja Peters - Kindergarten St. Franziskus Oberhausen, Jerome Braun - Hänsel + Gretel, Thomas Horch - Psychologische Beratungsstelle des Landkreises, Renate Fiedler - AllerleiRauh, Sarah Kittner - Wildwasser + Frauennotruf .

Die Deutsche Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel vermutet eine hohe Dunkelziffer der Gewalt und des sexuellen Missbrauchs an Kindern während der Corona-Zeit. Die „Starke Kinder Kiste“ soll die Präventionsarbeit in Kitas unterstützen.

„Nein! Ich möchte nicht, dass du mich so doll küsst“, sagt der kleine Ben zu seiner Oma und hält ihr das rote Stoppschild entgegen. Die Oma nämlich ist bekannt für ihre feuchten Kuss-Attacken, die dem 4-Jährigen furchtbar unangenehm sind – obwohl er seine Großmutter natürlich trotzdem lieb hat.

Für den Jungen ist dies ein schwerer emotionaler Konflikt. Wenn Ben sein Problem mit Omas Schlabberküssen verschweigt, wird ihn der Konflikt noch lange begleiten und vielleicht auch belasten. Wenn er es aber schafft, die Oma direkt darauf anzusprechen, wird er sicherlich gestärkt und selbstbewusst aus der Problemlage hervorgehen. So in etwa lautet die Grundannahme des pädagogischen Konzepts der „Starke Kinder Kiste“. In einer roten Kunststoffbox befinden sich neben Stofftierkatze Kim jenes Stoppschild, Magnettafeln, ein großes Kuschelherz und eine Sprechtüte, durch die man prima laut Hilferufe loswerden kann.

Spielerisch können sich Kinder mit diesen Lernmaterialien dem Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen nähern. Die Geschichte von Ben und andere Storys können sie aus dem Mini-Buch der Box vorgelesen bekommen. „Die Kiste kommt bei den Kindern bestens an“, sagt Katja Peters. Ihr Kindergarten St. Franziskus in Oberhausen im Landkreis Karlsruhe hatte in den letzten Monaten zum Ausprobieren eine Leihkiste. Sie erleichtert es Erziehern, den Kindern psychisch komplexe Zusammenhänge unbeschwert und alltagsnah zu vermitteln. Die in Karlsruhe ansässige private Stiftung Hänsel+Gretel bietet Kitas die „Starke Kinder Kiste“ bundesweit für je 2250 Euro samt 500 Mini-Bücher und Schulungsgutschein an. „Wenn sich jeweils drei bis fünf Kitas zusammenschließen und einen Sponsor finden, ist so eine Kiste gut bezahlbar“, sagt Stiftungsgeschäftsführer Jerome Braun.

Dunkelziffer sehr hoch

Prävention ist momentan wichtiger denn je. Die Kriminalstatistik benennt für 2019 insgesamt 13.670 gemeldete Fälle von Missbrauch an Kindern. Im Vorjahr waren es 12.321. Besorgniserregend ist der Anstieg an Kinderpornografie. 2018 waren es 7.449 Fälle, 2019 mit 12.262 Fällen erschreckend mehr. „Statistisch gesehen sind in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder von sexueller Gewalt betroffen“, sagt Braun. Die Dunkelziffer ist in diesem Bereich sehr hoch.

In Corona-Zeiten hat sich die Ungewissheit gegenüber den Straftaten nochmals verschärft. Wegen Schließung von Kitas, Kindergärten und Schulen sind viele Kontakte zu Kindern abgebrochen. Vertrauenspersonen oder Lehrer beispielsweise wissen derzeit kaum, wie es ihren Schützlingen in den Corona-Wochen ergeht. „Uns erreichen weniger als sonst Anrufe, die uns Sorgen oder Verdachtsfälle melden“, sagt Renate Fiedler von der Beratungsstelle AllerleihRauh. Zugenommen hätten aber die dramatischen Fälle, bei denen Kinder körperlich nicht unversehrt bleiben. Diese Meldungen erreichten die Beratungsstelle über den Allgemeinen Sozialen Dienst und über kollegiale Anfragen von Ärzten.

Zuspitzung während Corona

Ohne konkrete Zahlen nennen zu können, seien dies etwa ein Dutzend solcher schweren Fälle im Karlsruher Stadtgebiet gewesen. Die Corona-Wochen hätten in vielen Familien zur Zuspitzung von Konflikten geführt, so Renate Fiedler: „Die Jugendlichen leiden unter der Isolation.“ Dass hierbei keineswegs nur sozial schwache Familien betroffen seien, stellte Sarah Kittner vom Wildwasser+Frauennotruf klar: „Sexuelle Gewalt zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten.“ Tabus und der Mangel an Mut, darüber zu sprechen, leistet das Übrige, dass viele Straftaten gar nicht ans Licht kommen. „Laut statistischer Studie hatte jeder siebte bis achte Erwachsene im Verlauf seiner Kindheit oder Jugend in irgendeiner Form sexuelle Gewalt erfahren“, sagt Braun. Das soll zukünftigen Generationen erspart bleiben. Die Kiste soll dabei helfen.

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