Karlsruhe Geliebt, gehasst, gefürchtet

„Er sollte seinen Auftritt absagen, aber er wird es nicht tun.“ Für Ibrahim Yetkin gibt es keine zwei Meinungen: Erdogans Besuch hält er derzeit mit Blick auf das Grubenunglück in Soma für „nicht taktvoll“ und für „moralisch fragwürdig“. Statt in Köln für sich Wahlpropaganda zu betreiben, sollte sich Erdogan um aktuelle Probleme in seinem Land kümmern, findet der 52-jährige Sozialpädagoge, der seit 2013 für die Grünen im Stadtrat sitzt und vor 34 Jahren aus dem Südosten der Türkei nach Deutschland gekommen ist. Erdogan sei bei vielen immer noch beliebt, weil er dem Land einen wirtschaftlichen Aufschwung beschert habe. „Auf der anderen Seite hat er sich in seiner Macht verloren und baut nun alles ab, was er einst aufgebaut hat“, sagt Yetkin. Deutsch-Türke Ediz Sari (44), gebürtiger Ludwigshafener und Fußball-Trainer des TDSV Mutterstadt, plädiert für eine Versachlichung der Debatte. Er hält es für legitim, dass Erdogan in Deutschland für seine Politik wirbt. Der Auftritt sei schon lange geplant und dürfe nicht mit dem schrecklichen Unglück in Soma in Zusammenhang gebracht werden. Gleichwohl spalte Erdogan das Land. „Das merke ich auch in meinem Freundeskreis. Da wird heftig gestritten. Die einen hassen, die anderen lieben ihn.“ Sich selbst bezeichnet Sari, dessen Vorfahren aus Songoldak am Schwarzen Meer stammen, als neutral. Sein Urteil: Erdogan hat die Türkei vorangebracht und die Infrastruktur verbessert. Er sollte aber Staat und Religion auseinanderhalten. „Ich finde, man sollte Erdogans Besuch in Deutschland nicht überbewerten. Er macht Wahlkampf. Das ist alles. Unsere Demokratie in Deutschland kann Erdogan ertragen. Und er muss den Gegenwind ertragen, wenn er hierher kommt“, sagt der in Sorgun in der Türkei geborene Schriftsteller Hasan Özdemir (50). Er ist kein Fan des türkischen Ministerpräsidenten und kritisiert dessen Umgang mit der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Dennoch habe Erdogan die Kommunalwahlen gewonnen. Die Opposition sei schwach, was er jetzt ausnutze. Momentan gebe es keine ernstzunehmende Alternative zu ihm. Aber Erdogan ignoriere Kritik und nehme die Realität nicht mehr wahr. „Wenn er so weitermacht, wird er irgendwann die Macht verlieren – aber was kommt dann?“, fragt Özdemir, der als Jugendlicher nach Deutschland kam, seit 1979 in Ludwigshafen lebt und mittlerweile deutscher Staatsbürger ist. Dass Belgim Özdemir-Cetinkaya durchaus eine fundierte und differenzierte Meinung zu Erdogans derzeitigem Gebaren hat, merkt man im Gespräch mit der 31-Jährigen schnell. Allerdings möchte sie die nur im persönlichen Dialog äußern und nicht öffentlich kundtun. „Das Thema ist so sensibel und die Diskussion unter den Türken sehr schwierig“, sagt die Friesenheimerin, die in Deutschland geboren ist und als Projektmanagerin am Institut für Herzinfarktforschung auf dem Gelände des Klinikums arbeitet. Ehrenamtlich ist sie Vorsitzende des Frauennetzwerks „Ela“. „Unser Ziel ist ein friedliches Zusammenleben mit Menschen aus allen Kulturen“, sagt sie. „Wir sind politisch neutral und vermeiden es, Diskussionen zu führen.“ Nicht jeder will offen mit seinem Namen und einem Foto in der Zeitung Stellung beziehen. „Ich finde, was Erdogan da macht, ganz schlimm. Aber wenn ich das öffentlich sage, dann gibt es Probleme. Ich habe Angst, Kunden zu verlieren“, sagt ein aus Anatolien stammender Geschäftsmann. Die Türkei sei eigentlich ein lebendiges, großes und reiches Mosaik aus verschiedenen Kulturen und Nationalitäten. Aber die Regierung suche keinen Ausgleich zwischen den Menschen, sondern polarisiere. Es werde gelogen und unterdrückt. „Ich fände es gut, wenn die Europäische Union bald den Beitritt der Türkei ermöglichen würde. Dann könnte sich die türkische Regierung nicht mehr solche Spielchen erlauben“, sagt der Geschäftsmann, der gerne nach Köln gefahren wäre, um gegen Erdogan zu demonstrieren. Doch er will seinen Laden nicht zusperren. „Erdogans Wahlkampfauftritt führt zu einer Polarisierung zwischen den Türken in Deutschland und wird von den verschiedenen Lagern ausgenutzt“, sagt ein anderer türkischstämmiger Ludwigshafener, der ebenfalls Nachteile befürchtet, wenn er sich öffentlich kritisch äußert. Dabei gebe es in der Türkei wichtige Dinge zu regeln, etwa eine Verbesserung der Arbeitssicherheit nach dem Bergbauunglück.

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