Kaiserslautern Wilde Jagd und postkoitale Erschlaffung

Das Pfalztheater in Kaiserslautern setzt seine Reihe mit Meisterwerken der Moderne fort: nach Bergs „Wozzeck“, Brittens „Death in Venice“ nun Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“. Kaiserslauterns Hausherr, Intendant Urs Häberli, inszenierte selbst, und der Generalmusikdirektor des Pfalztheaters, Uwe Sandner, entfesselte nachgerade orgiastische Klanggewalten im Orchestergraben – ein szenisch wie musikalisch aufregender und packender Abend.

Sex in der Oper bleibt meist doch eine eher alberne Sache. Selbst bei Regisseuren wie Calixto Bieito, dem aber nun mal wirklich nichts Menschliches fremd ist, wirkt das doch meist wie ziemlich uninspiriertes und bemühtes Gerammel. Das hat im Regelfall auch einen Grund: In der Partitur steht davon wenig bis gar nichts. Die Emotionen kochen in der Oper, die man ja nicht umsonst als Kraftwerk der Gefühle bezeichnet hat, zwar über, aber an der Schlafzimmertür ist Schluss. Bei Schostakowitsch ist das etwas anders. In seiner Oper werfen die Hormone regelrecht Blasen. Das gesamte Personal mit Katerina an der Spitze leidet unter permanenter Notgeilheit. Und die Musik macht diesen triebgesteuerten Gestalten nochmals richtig Dampf. Zuerst kommt es zum wilden Galopp im Ehebett, von der rhythmisch aufgeladenen Musik hochgepeitscht. Dann folgt in der Posaune die postkoitale Erschlaffung. Schon die Beschreibung unterstreicht: So heftig es hier auch zur Sache gehen mag, dieser auskomponierte Geschlechtsakt ist vor allem auch eine unglaublich witzige Groteske. Eine Farce, die von Urs Häberli szenisch auch genau so umgesetzt wird. Seine Inszenierung verdoppelt die Drastik der Handlung nicht; sie bricht sie, zieht eine ironisch-satirische Zwischenebene ein, die das Geschehen erträglicher macht. Die Bühne von Thomas Dörfler folgt der Grundanordnung eines antiken Amphitheaters. In der Mitte, von allen Plätzen einsehbar, der zentrale Ort des Geschehens: das Ehebett. Lustzentrum und Schreckensort zugleich, denn jeder Mord ist triebgesteuert. Häberli zeigt gleichsam einen Emanzipations-Versuch, der aus dem Ruder läuft. Katerina ist gefangen in einem goldenen Käfig, enttäuscht von ihrem Mann, der sie weder körperlich noch emotional befriedigen kann. Sie wird brutal unterdrückt von ihrem Schwiegervater. Die Begegnung mit Sergej, die Wucht, mit der sie die erste gemeinsame Nacht trifft, lassen sie alle Ketten sprengen, an die ihr Leben gefesselt war. Sie will diesen Traum von Leben verwirklichen – und geht dafür über Leichen. So weit folgt Häberlis Lesart der Vorlage. Aber sie geht auch darüber hinaus, indem sie zeigt, wie sehr der Mensch in einer Gesellschaft, die keinerlei Wertekanon mehr kennt, die von Willkür und Gewalt beherrscht wird, sich seine Überlebensnischen schafft: Er verstellt sich. Er flüchtet sich in die innere Emigration. Er versteckt sich hinter einer Maske. So agiert der Chor ständig mit Masken, die aus dem Individuum einen gesichtslosen Teil der Masse machen. Das ist auch die Strategie Schostakowitschs gewesen, um überleben zu können. Und in Kaiserslautern lässt die Regie den Komponisten in der Person des Schäbigen (Peter Floch) auftreten – wie auch seinen Gegenspieler Stalin in der Figur des Boris. Dieser Schostakowitsch begleitet seine Opernfigur durch die Handlung, er nimmt sie zunächst gegen Boris (also Stalin) in Schutz – um sie schließlich doch zu denunzieren und zu verraten. Häberli kann sich auf ein großartiges Ensemble mit Yamina Maamar in der Titelpartie an der Spitze verlassen. Sie kämpft und stöhnt sich bis zur Verausgabung durch diese Rolle, und behält dennoch die Kontrolle über ihre Stimme. Wieland Satter singt und spielt den Boris mit diabolischer Gewalt, während Alexey Kosarev in der Rolle des Sergej durch stimmliche wie körperliche Präsenz gefällt. Unmöglich, alle Solisten aufzulisten, erwähnt werden müssen aber noch Daniel Kim als Sinowi und Arlette Meißner als Axinja. Und da wäre schließlich noch ein grandios spielendes Orchester unter seinem Chef Uwe Sandner. Da drang mitunter ein wahrer Höllenritt, von Blech und Schlagwerk angefeuert, aus dem Graben, ehe die Musik wieder ins Groteske, Bizarre kippte, wenn urplötzlich ein entstellter Wiener Walzer erklang. Schließlich ließ Sandner das Orchester schwärmerisch und an Mahler erinnernd schwelgen – um im nächsten Moment mit einem gewaltigen Schlag wieder aufzurütteln. Sandner führte die Musiker souverän sowohl durch vertrackte Rhythmen als auch durch mächtige Klangeruptionen.

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