Kaiserslautern Wenn die Orgel verstummt
Mittelbrunn. Sie gehörte zum Gottesdienst in Mittelbrunn wie das Glockenläuten oder die Predigt: 50 Jahre lang spielte Gisa Jung die Orgel in der evangelischen Kirche der Gemeinde. In der vergangenen Woche wurde sie feierlich verabschiedet. Weil sie seit einem Unfall nicht mehr gut sehen kann, musste sie ihren Organistendienst aufgeben.
Das Orgelspielen hat Gisa Jung schon immer fasziniert und ihr auch immer Halt gegeben. Dass sie zur Beerdigung ihrer Schwägerin und ihres Bruders Musik machen konnte, half ihr ein wenig, ihre Trauer zu bewältigen. Umso schwerer fällt es der 73-Jährigen, ihre Organistentätigkeit nun, nach 50 Jahren, ganz und gar aufgeben zu müssen. Ein Unfall, bei dem ihre Augen schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden, zwingt sie dazu. „Wenn man im Alter etwas hat, wird nichts besser“, schätzt Jung die Lage realistisch ein und hofft, dass sie nach einer weiteren Operation noch einmal etwas besser sehen kann. Fürs Notenlesen aber wird es wohl nicht mehr reichen. An die Spieltische der Mittelbrunner, der Kindsbacher oder der Landstuhler Orgeln wird Gisa Jung nicht mehr zurückkehren können. Weil sie zuhause niemanden hat, der sich um sie kümmern könnte, ist sie vor geraumer Zeit ins Seniorenpflegeheim Sozialkonzept Marienhof in Glan-Münchweiler gezogen. Ihr ganzes vorheriges Leben aber hat sie in Landstuhl verbracht und ist kirchenmusikalisch überall da eingesprungen, wo dies gerade nötig war. Als Pfarrer Flegel jemanden suchte, der in Gerhardsbrunn und Langwieden, später auch in Mittelbrunn die Gottesdienste musikalisch begleiten würde, war sie zur Stelle. Gemeinsam mit Wilfried Schneider teilte sie sich die Organistendienste, nachdem der Vater des derzeitigen Landstuhler Verbandsbürgermeisters sich aufgrund einer Krankheit zurückziehen musste. Nach dem Tod von Hans Agnes sprang Jung auch in Landstuhl ein. Regelmäßig spielte sie in der protestantischen Kirche in Mittelbrunn. Dort dankte die Gemeinde ihr in der vergangenen Woche mit einer Feier in der Kirche für den geleisteten Dienst und verabschiedete sie. Eine Urkunde, die ihr 50-jähriges Orgelspiel bestätigt, und ein neues Gesangbuch mit extra großer Schrift auf dem Tisch in ihrem Zimmer zeugen noch davon. „Es war eine sehr würdige Abschiedsfeier“, berichtet Gisa Jung. Die letzten Töne hat die Seniorin an Pfingstmontag der Orgel der evangelischen Stadtkirche in Landstuhl entlockt. Es war Dietrich Buxtehudes Toccata in F-Dur, ihr Lieblingsstück. „Das ist festlich. Direktor Graf hat es oft gespielt“, erinnert sich Jung an ihre Zeit im kirchenmusikalischen Seminar in Kaiserslautern und in der Evangelischen Jugendkantorei der Pfalz in den 1960er Jahren zurück. Adolf Graf hatte beides nach dem Krieg gegründet, um musikalisch begabten Jugendlichen eine fundierte Ausbildung zu ermöglichen – allerdings nur denen, die auch eine höhere Schullaufbahn vorzuweisen hatten. „Ich war keine Oberschülerin, das kam bei Direktor Graf nicht so gut an“, erzählt Jung. Ihr Können überzeugte dann aber auch Graf, sodass sie doch in den Chor aufgenommen wurde, den sie 1959 in der Stiftskirche zum ersten Mal hatte singen hören. Mit ihrer Tante war sie in das Konzert gegangen, bei dem die „Matthäus-Passion“ von Johann Sebastian Bach aufgeführt wurde. „Das hat mich sehr beeindruckt“, sagt die heute 73-Jährige. Auch das Orgelspiel vertiefte sie in dieser Zeit am kirchenmusikalischen Seminar. Baldur Melchior, der später in Kusel als Dekan mehreren Kirchengemeinden vorstand, hatte ihr diesen Weg empfohlen. „Es war schade, dass er aufgehört hat“, bedauert Jung, die viele gute Erinnerungen an den Geistlichen hat. Es habe immer schön geklungen, wenn er etwas auf der Orgel gespielt habe. Sie selbst hat in ihrer Notensammlung auch noch viele „schöne Stücke“, die sie gerne in Gottesdiensten und Konzerten präsentiert hätte, darunter Kompositionen von Buxtehude, Bach oder auch Johann Walter. „Aber auch das Steinwendener Präludienheft ist nicht zu unterschätzen“, sagt die Kirchenmusikerin, die sich auch im Landstuhler Altenheim 30 Jahre lang jeden Freitag ans Instrument setzte, ebenso wie an jedem ersten Dienstag des Monats beim Frauenbund. Die Lücke, die sie hinterlässt, wird nicht so leicht zu füllen sein. Sie selbst weiß, dass junge Organisten oftmals nicht gerne an Feiertagen und bei Beerdigungen spielten. Aber auch wenn sie selbst keine Orgel mehr spielen kann, ist die Musik nicht komplett aus Gisa Jungs Leben verschwunden. In ihrem neuen Zuhause singt sie im Singkreis und im Chor mit. Und vielleicht erfüllt sich demnächst auch noch ihr derzeit einziger Wunsch: „Mein Klavier steht noch in Landstuhl und hier gibt es nur das schreckliche Harmonium. Ich will mit der Heimleitung sprechen, ob stattdessen dort mein Klavier aufgestellt werden kann.“