Kaiserslautern Weltwirtschaftskrisensuppe

Entstanden ist „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ 1929 in Berlin, kurz bevor Brecht aus Deutschland flüchten musste. Uraufgeführt wurde das Stück drei Jahre nach seinem Tod, 1959 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Der Regisseur hieß Gustav Gründgens. In Heidelberg versuchte nun Holger Schultze dem Ökonomiedrama Leben einzuhauchen. Es ist aber schon eine ziemlich dicke Suppe, die Brecht da zusammen gerührt hat.

Lange gleicht das auf zwölf Bilder angelegte Stück einem Hauptseminar in Historischer Ökonomie. Gelehrt wird, wie das war mit der New Yorker Wall Street, der Rindfleisch-Spekulation, den sozialen Verwerfungen in den Schlachthöfen – und wie eine religiös grundierte Non-Profit-Organisation letztlich auch den Gesetzen der kapitalistischen Wertschöpfung unterliegt. Gemeint ist die Heilsarmee, die Ende der 1920er den armen Arbeitern von Chicago helfen will. Johanna Dark ist ein Leutnant dieser Armenküchenarmee, die, wäre sie 1990 zur Welt gekommen, im Occupy-Camp genächtigt hätte. Man kann sich Johanna als unbeirrbare Gerechtigkeitskämpferin vorstellen, die fest daran glaubt, dass eine Umverteilung zu Gunsten der Armen und Entrechteten möglich ist. Als Partner für ihren Klassenkampf sucht die Mutter Teresa der Fleischtöpfe (Nanette Waidmann) sich ausgerechnet den mächtigsten Fleischspekulanten aus. Pierpont Mauler ist die Brecht-Figur, die das Für und Wider kapitalistischer Waren- und Geldströme geradezu körperlich auslebt. Zu seiner Zeit kamen die Infos von der Wall Street noch per Post. Die Umsetzung der jeweils nächsten Spekulationsvolte im Verteilungsgemetzel brauchte Tage. Heute werden Aktien, wie wir aus dem überaus lesenswerten Programmheft-Text der Dramaturgin Lene Grösch lernen, in „exakt 22 Sekunden“ gekauft und wieder verkauft. Ein Fleischspekulant hatte im Gegensatz zu heute also noch Zeit, sich eigenen Skrupeln zu widmen. Also macht Brecht aus Mauler einen Verwandten des Puntilla. Da steht ein zartbesaiteter Fleischhändler mit zwei Seelen in der Spekulantenbrust (Hans Fleischmann), der beim Blick in die Augen eines todgeweihten Ochsen weich wird. Das schmutzige Geschäft überlässt er zunehmend Slift (Steffen Gangloff), der heute wohl ein Hedgefonds-Hai wäre. Nimmt man die Heilsarmee-Majorin Snyder (Nicole Averkamp) dazu, hat man das Figurenquartett beisammen, um das Holger Schultze sich in diesem Lehrstück enthemmter Wirtschaftskreisläufe besonders kümmern musste. Der Intendant hatte zum Auftakt der Spielzeit 2013/14 Brechts „Trommeln in der Nacht“ inszeniert – ziemlich gut in der kleinen Spielstätte Zwinger 1. Seinen neuen Versuch mit Brecht unternimmt er im großen Marquerre-Saal und das hat zunächst eine überaus bemühte Inszenierung zur Folge. Im Bühnen-Vordergrund (Bühne/Kostüme: Martin Fischer) schweben rostige Industriebauteile durch die Gegend und fügen sich zu immer neuen Konstellationen. Die Lego-Spielereien dienen lediglich dem Zweck, das Ensemble in immer neuen Formationen auszustellen und zähen Text abzuarbeiten. Statt den Versuch zu unternehmen, zumindest die zentralen Figuren blutvoll zu inszenieren, begnügt Holger Schultze sich zunächst damit, dass Hans Fleischmann dem Fleischkönig ein massiges Beharrungsvermögen und einen etwas weinerlichen Weltschmerz verpasst. Auch Nanette Waidmann ist als Johanna erst farblos. Als die Inszenierung aber dem Höhepunkt der Chicagoer Verteilungskämpfe entgegen steuert, kommt doch noch Leben ins Schauspiel. Waidmann zeigt, warum eine von ihrer Mission beseelte Weltretterin für einen grüblerischen Kapitalisten wie Mauler derart reizvoll sein kann. Es ist die schöne Naivität Johannas gepaart mit der Unbedingtheit ihrer Anklage. Dieses bedingungslos für eine Sache stehen, abseits zynischer Relativierungen. Und Hans Fleischmann beginnt mitzuspielen. Wir sehen einem Mann zu, den der betrügerische Fleischhandel gleichermaßen fasziniert und ekelt. Trifft er auf Johanna, wird spürbar, dass für ihn auch ein anderer Lebensentwurf gelten könnte. Vorstellbar wäre sogar, dass er irgendwann mit Johanna den Weg zu Attac findet. Das aber wäre dann wohl ein ganz anderes Drama.

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