Kaiserslautern Von der Vergeblichkeit allen Tuns

„Butcher’s Crossing“ – so heißt der zweite Roman des amerikanischen Schriftstellers John Williams, der jetzt bei uns erscheint. Williams starb 1994 in Fayetteville. Der Roman ist ähnlich beeindruckend wie „Stoner“, Williams’ Debüt in Deutschland.

„Stoner!“ Was für ein großartiges Buch. „Stoner“ war eine der ganz großen Überraschungen in den vergangenen zwei Jahren. Der Roman stand von September 2013 an 64 Wochen lang in der Bestsellerliste, auch die Taschenbuchausgabe schaffte den Sprung in die Hitparade. Auf den ersten Blick mochte das verwundern. In einer Zeit, in der nach wie vor alle möglichen Gruseltaten aus Skandinavien den Leser hierzulande faszinieren, kam die gänzlich unspektakuläre Geschichte des Farmersohnes William Stoner, der die Seiten wechselt, sein Agrarstudium aufgibt und ein bescheidenes Leben als Literatur-Dozent an der Universität von Missouri in Columbia führt, doch recht untypisch daher. Die Qualität des Buches hat sich in dem Fall aber durchgesetzt – und wie! Ein starkes Stück: Als das Buch erstmals 1965 in den USA veröffentlicht wurde, hatten die USA andere Probleme, dass der Roman aber in seiner Bedeutung nicht erkannt wurde, ist keine Heldentat des amerikanischen Feuilletons. „Butcher’s Crossing“ ist anders – aber nicht minder eindrucksvoll. In „Stoner“ erzählte John Williams ein ganzes Leben, in dem Nachfolger geht es „nur“ um acht, neun Monate im Leben des Harvard-Absolventen Will Andrews. Aber sie haben es in sich. Der junge Mann, Sohn eines Laienpriesters, kommt 1870 nach Kansas in die Stadt Butcher’s Crossing, um sich und sein Leben neu auszurichten. Sein Vater hat ihm empfohlen, J. D. McDonald, einen Bekannten, zu kontaktieren und ihn um Rat zu fragen. Mit einem Brief von Benjamin Andrews sucht er den Büffelfellhändler McDonald in dessen Hütte auf. Der Unternehmer bietet dem Besucher an, für ihn quasi als Assistent den Papierkram zu übernehmen, doch Andrews geht nicht auf das Angebot ein. Schließlich nennt McDonald ihm den erfahrenen Jäger Miller, an den er sich wenden soll, um seinen Freiheits- und Erfahrungsdrang zu stillen. Andrews hat Geld, er hat die Hinterlassenschaft eines Onkels, und so wird er mit Miller rasch handelseinig. Gemeinsam mit Millers Freund Charley Hoge (Hope!), einem bibeltreuen Christen, dem aufgrund eines Unfalls im Winter die rechte Hand amputiert werden musste, und dem Häuter Fred Schneider machen sie sich auf den Weg – und zwar in ein Tal, das Miller vor vielen Jahren zufällig entdeckte – und in dem sich sagenhaft viele Büffel befinden sollen. Millers Erinnerung ist verblasst, doch die kleine Prozession findet trotz vieler Schwierigkeiten am Ende das Tal doch. Schon da müssen die Männer an ihre Grenzen gehen. Die Büffel sind tatsächlich noch dort. Unbändiger Ehrgeiz, ja Gier, treibt Miller an, er wird zur Tötungsmaschine und kann nicht aufhören, einen Büffel nach dem anderen zu schießen. Von rund 5000 Tieren bleiben nach der Jagd 300 übrig, Schneider und Andrews kümmern sich um die Felle. Miller schlägt die Warnungen seines Widerparts Schneider in den Wind, und so wird die kleine Gruppe vom Wintereinbruch überrascht. Die Männer kommen nicht mehr über den Pass, folglich müssen sie sieben, acht Monate in einem Unterstand verweilen. Es ist ein unglaublich spannender Roman, denn Unheil liegt recht bald in der Luft, und an mehreren Punkten ist offen, ob der latente Konflikt zwischen Miller und Schneider womöglich eskaliert. Die Landschaftsschilderungen John Williams’ sind von kristallklarer Schönheit. Und: wie präzise er die Büffel beschreibt, ihre Eigenheiten! Und das Leiden der Ochsen und Pferde. Moderner Vierkampf: Die Männer ziehen sich in sich zurück, schaffen aber die langen, einsamen Monate in der Kälte und machen sich mit den Fellen auf den Rückweg. Da geschieht doch noch ein Unglück. Und auch in Butcher’s Crossing ist nichts mehr so, wie es war. Der Roman ist eine düstere Parabel auf die Vergeblichkeit allen Tuns, auf die Launenhaftigkeit des Schicksals. „Sie haben es noch nicht begriffen. Sie haben ein Jahr lang Ihr Leben vergeudet, weil Sie an den Traum eines Narren geglaubt haben. Und was hat es Ihnen gebracht?“, fragt der Unternehmer McDonald den jungen Mann nach der Rückkehr und sieht das ganze Leben auf Lügen aufgebaut. Es gibt noch zwei weitere Romane und zwei Gedichtbände von John Williams. Sollten die Werke ähnlich imponierend wie die bei uns bisher vorliegenden sein, muss die amerikanische Literaturgeschichte in Teilen neu geschrieben werden. John Williams ist eine noch größere Wiederentdeckung als Richard Yates und Wallace Stegner. John Williams ist ein Gigant.

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