Kaiserslautern Voller Durchblick

„Ohne Audiodeskription hätte ich dem Stück nicht folgen können, mir kann′s gar nicht genug sein“, kommentierte Christa Rupp, Vorsitzende des Blinden-und Sehbehindertenverbandes für das Saarland, ganz begeistert die Vorstellung von Friedrich Schillers „Don Carlos“ am Sonntagabend im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken. Mit dieser Aufführung bot das Haus erstmalig Theater für Blinde und Sehbehinderte Menschen an.

„Die Teilhabe Blinder und Sehbehinderter Menschen am Theater ist uns ganz wichtig. Herzlich willkommen bei uns in Saarbrücken, herzlich willkommen Hund“, die Begrüßung war ungewöhnlich. Die Resonanz auf das Angebot positiv. Etwa 25 Blinde und sehbehinderte Menschen und Blindenhund Aslan, ein fünfjähriger schwarzer Labradorrüde, sind auch am Kommunionssonntag am Ende der Osterferien gekommen, um Friedrich Schillers Drama über Macht und Freiheit in der atmosphärisch sehr dichten Inszenierung von Christoph Diem zu erleben. Vor dem Besuch der Vorstellung erhielten sie an einer leicht zugänglichen zentralen Ausgabestelle an der Garderobe Funkkopfhörer mit einer ausführlichen und anschaulichen Erklärung, wie man sie benutzt: „Den Kopfhörer da klemmen Sie sich hinter ein Ohr und an diesem Drehregler hier schalten Sie das Gerät ein und regulieren die Lautstärke.“ Zuvor haben sie bereits eine Führung durch den Bühnenraum mitgemacht. „Der sinnlich-taktile Blick hinter die Kulissen gehört zum Begleitprogramm für blindes Publikum; die Besucher können dort das Bühnenbild ertasten, auch Form und Stoff der Kostüme erfühlen. Das hilft ihnen dann, die Informationen durch die Audiodeskription besser einordnen zu können,“ erläuterte Anke Nicolai von der Firma audioskript in Berlin. Die 37-jährige Sozialpädagogin ist in Deutschland eine Pionierin der Audiodeskription und hat auch selbst familiäre Erfahrungen mit Blinden und Sehbehinderten. Die Idee zur Audiodeskription ist in den USA entstanden, als Professor Gregory Frazier von der State University in San Francisco bei einem Kinobesuch 1975 einen Mann beobachtete, der seiner blinden Frau Informationen über den Film zuflüsterte. Das aber störte die anderen Besucher. Daraufhin stellte Frazier sich die Frage, wie visuelle Informationen, in Sprache übersetzt, in die Lücken eines Films passen können, und entwickelte ab 1977 zusammen mit August Coppola, dem Bruder des berühmten Filmregisseurs, das Audiodescription-System mit Funkkopfhörern. In Europa wurde es zum ersten Mal 1989 bei der Premiere des Films „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ in Cannes gezeigt und begeistert aufgenommen. Anke Nicolai beschäftigt sich schon seit 1997 mit Audiodeskription im Film, seit 2004 erstellt sie „Hörfassungen“ für Live-Theateraufführungen wie bei „Don Carlos“ in Saarbrücken. „Blinde und Sehbehinderte können ganz normal mit ihrem sehenden Partner oder Freunden dahingehen und mitreden, es sind keine elitären Sonderveranstaltungen.“ Die Audiodeskription wurde nach einem kurzen Soundcheck während der Aufführung aus einer mit einer Glasscheibe abgetrennten Kabine live eingesprochen von Beatrix Hermes. Zusammen mit Anke Nicolai, ihren Kolleginnen Ina Klose und der blinden Renate Lehmann hat sie das Audioskript erstellt. „Dass im Team Blinde und Sehende zusammenarbeiten, ist sehr wichtig“, erklärte Anke Nicolai. „Mit dem DVD-Mitschnitt einer Aufführung, Text- und Regiebuch erarbeiten wir unseren Text und versuchen dabei, ohne zu interpretieren, kurz und prägnant in den Sprechpausen der Darsteller zu sagen, wer auf der Bühne ist, wo die Personen sind und was gerade passiert; auch über Lichtstimmungen und Bühnenbewegungen informieren wir. Und eine Viertelstunde vor der Aufführung beschreiben wir detailliert das Bühnenbild sowie Kostüme und Aussehen der Darsteller.“ Die spät erblindete Renate Lehmann ist dabei das Korrektiv im Team: „Ich erzähle den anderen, was ich mir bei einer Formulierung vorstelle, und sie überprüfen, ob das mit dem übereinstimmt, was zu sehen ist. Das klappt sehr gut.“ Das bestätigten auch mehrere blinde und sehbehinderte Besucher. „Ich finde diese Audiodeskription präzise und sehr gut“, meinte die fast blinde Sängerin Silvié Weißkircher. „Anfänglich haben mir zwar einige Infos über die Körpersprache der Königin gefehlt, weil diese Körpersprache ja auch ihren Konflikt veranschaulicht. Ansonsten bewundere ich total, wie man diese großen Sachverhalte auf so ein kurzes Statement herunterbrechen kann.“ Mit Infos über Farben kann auch die von Geburt an blinde Christa Rupp etwas anfangen: „Farben sind für mich mit Emotionen und inneren Bildern verbunden. Ich habe auch viele Menschen angefasst und habe dann ein inneres Bild, das ist zwar nicht mit einem optischen zu vergleichen, aber das brauche ich auch nicht. Und ich bin froh, weil ich ganz viel mitgekriegt habe.“ Auch Beate Böhme konnte der Vorstellung gut folgen: „Das war alles sehr gut erklärt, sogar wie sich die Darsteller beim Applaus aufgestellt haben,“ freute sie sich und gab Aslan, der ganz ruhig neben ihr über drei Stunden lang ausgeharrt hatte, sein wohlverdientes Leckerchen. Die Intendantin des Saarländischen Staatstheaters, Dagmar Schlingmann, jedenfalls will das Projekt unbedingt fortsetzen.

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