Kaiserslautern Urschreie und Spielwitz
Gegensätzlicher als die zweite Etappe des Kammgarn Blues Festivals konnte es kaum mehr sein. Mit dem Singer/Songwriter Jack Broadbent präsentierte sich am Freitagabend ein Zauberer auf der Slidegitarre, mit der Rampensau Lucky Peterson kamen Erinnerungen an den legendären Luther Allison auf, und die Heidelberger Rock’n’Roll-Band „Krüger rockt“ spielte sich bis weit nach Mitternacht in Ekstase. Zum Finale des Festivals am Samstagabend zeigte sich wieder, wie breitgefächert der Blues sein kann. Während die Ausnahmeerscheinung des britischen Blues-Rock, Danny Briant, fettes und erdig-schweißtreibendes Selbstgemachtes servierte, erwies sich die blutjunge Französin Nina Attal als die Entdeckung des Festivals überhaupt. Nicht von schlechten Eltern waren auch die Groove Cookies aus Saarbrücken.
Der Mann kann auf der Slidegitarre alles. Schulterlanges Haar umrahmt das Gesicht mit den traurigen Augen – die uramerikanische Legende vom ungebärdigen Freisein „on the road“ in einer Symbiose aus anarchistischer Primitiv-Folklore und rocktechnologischer Finesse. Lieder von brutaler Schönheit und raubeiniger Sentimentalität gingen beim Engländer Jack Broadbent zusammen. Überraschungseffekte sind immer wieder das Salz in der Suppe seines handfest heulenden Slide-Gitarrenspiels. In dieses süße Feuer flossen Elemente des Gospel und des Country so schlackenlos ein, dass die rund 300 Besucher immer wieder perplex waren. Slide-, Schleif- und Kratztöne zauberte er aus seinen Saiten, wenn er mit dem metallenen Flachmann über das Griffbrett rauschte. Diese unterschiedlichsten Sounds handhabte er in virtuosester Manier. Jedes gitarristische Statement beantwortete er dabei mit seiner melancholischen Stimme, die vermuten ließ, dass der frühere, bescheidene Straßenmusiker mal ganz unten gewesen sein musste. Diese Emotionen drückten sich in schwermütigen Songs wie „Big Black Boat“ oder „On The Road again“ deutlich aus. Begeisterter Beifall. Zwei Zugaben. Danach vertrieb Lucky Peterson aus Buffalo (USA) jegliche mögliche Trübsal mit einem Kathedralen-großen Instrumental-Orkan. Ein lebenslustiger Sonnenschein, dessen Augen unter dem schwarzen Hut blitzten wie Sterne. Auf der Hammond-B3-Orgel erzielte er Wirkungen, die an eine Bigband erinnerten – von einer ungeheuren Dynamik und mit unglaublicher Intensität. Die rauputzraue Stimme steigerte sich dabei bis zum expressiven Urschrei. Noch mehr Energie sprudelte aus dem 50-Jährigen, als er zur E-Gitarre griff. Es dauerte auch nicht lange, bis er die Bühne verließ und im Saal durch die Reihen des Publikums marschierte. Genau wie auf der Orgel erzielte er auch auf der Gitarre mit schier ewig langen Bordun-Tönen eine Intensität, die an Dramaturgie und Spannung nicht zu überbieten war. Die Sounds hatten Witz und die Beats Groove. Da hielt es die meisten Zuhörer nicht mehr auf den Stühlen. Gewiss hat Lucky Peterson das Zeug, eine Blues-Legende zu werden wie Willie Dixon, der den Sechsjährigen einst unter seine Fittiche genommen hatte. Im Cotton Club durften die Hüften und Beine weiter zucken, denn die Rock’n’Roll-Band Krüger rockt! zog hier im ICE-Tempo eine virtuose Power-Piano-Bass- und Schlagzeug-Show ab, die das Publikum in den Bann zog. Harald Krüger traktierte das Piano, ließ die Linke im Dampfhammerspiel auf- und abschmettern, während die Rechte unentwegt Glissando-Blitze aus dem Tastenfeld entlud. Der rote Drei-Tage-Bart verriet schon die Herkunft von Danny Briant, mehr aber noch war es die britische Reserviertheit, die ganz im Gegensatz stand zu seiner Lust an der Improvisation. Höchstens wenn er die Relationen zwischen Blues und Rock mit großem Einsatz auslotete und den Hörer mit endlos verschleppten Grooves auf die Folter spannte, dann verzog sich sein Mund, verspannte sich seine Mimik, begann der Bluesgitarrist sogar zu hüpfen. Das waren aber die einzigen Emotionen des kühlen Briten. Ansonsten – ein Fels in der Brandung. Sein Gitarrensound jedoch hat gegenüber früher deutlich an Intensität zugelegt. Und diese verschärfte Gangart stand ihm gut. So ging er mit „Best Of Me“ gleich mit einem pfundig-schneidenden Riff in die Vollen. In hypnotische Sphären aber führte er mit seinen ständigen Wiederholungspassagen. Da blieb der Pedal-Steeler ganz seiner Linie treu. Er fegte, schlitterte, jaulte und jubelte mit seinem rasanten Instrument durch die rockenden Party-Granaten und schleuste dabei auch äußerst gefühlvolle Transparenz in die Erdigkeit. Mehr brauchte es nicht für eine unter die Haut gehende Gitarre. Da passte auch die angeraute Raspelstimme, die mit seinem Spiel wunderbar harmonierte. Alex Philipps am Bass und Dave Raeburne, seine groovenden Brüder im Geiste, waren da kongeniale Partner. Was dem Engländer nicht gelang, glückte einer kleinen Französin im Handumdrehen. Die erst 22 Jahre alte Nina Attal trieb nicht nur ihre sechs männlichen Kollaborateure vor sich her, sondern brachte im Handumdrehen die 350 Zuhörer zum Kochen. 150 Zentimeter Körpergröße, jedoch die kinetische Energie war so fulminant, dass wegfliegende Teilchen sich auf das Publikum übertrugen. Die Blues-Polizei drückte hier ein Auge zu, denn „die Perle des französischen Soul und Blues“ mischte eine gehörige Portion Funk, aber auch Jazz und Pop in ihr explosives Gemisch. Ganz neue Sounds kamen da aus dem Westen, und man fragte sich: Ist das der Blues des 21. Jahrhunderts? Ihre Musik war frech, frisch, jugendlich, unverbraucht – und einfach sympathisch. Die Stimme der Sängerin, die aussieht wie eine 13-Jährige, klang kindlich, aber nicht naiv, wie die vieler junger Frauen, die im Moment wie Gänseblümchen aus dem Boden sprießen. Ihre Stimme vereint gleichermaßen Coolness und Leid. Sie verfügt bereits über einen größeren Reichtum an Nuancen, verwendet wohlüberlegte Effekte und hat eine ausgesprochene dramatische Begabung. Das Publikum kochte und raste vor Begeisterung. Nina Attal animierte, kokettierte und würzte dabei ihre Songs mit gepfefferten Geistesblitzen. Sie kann aber auch tief ernst sein. Mit ihrer Zartbitter-Ballade „Freedom“ transportierte sie unendlich viel Emotion, die tief unter die Haut ging. Mit hörbarem und vor allem ansteckendem Spaß gingen die sechs Musiker zu Werke, die mit messerscharfen Bläserattacken, Lautmalereien, gitarristischen Gewitter-Riffs, brodelndem Bass, rauen Orgelsounds eine Nonstop-Power-Attacke entwickelten. Nonstop-Power präsentierten auch die Groovie Cookies bis weit nach Mitternacht im rappelvollen Cotton Club mit bluesigen Gitarrenriffs (Gerhard Hoff), Slapgewitter, knackigen Funky-Keyboards (Florian Stein), mitreißendem Gesang des noch blutjungen Lukas Schüssler, satten Grooves des Bassisten Christian Konrad und raffinierten Schlagfolgen des Lautrer Schlagzeugers Kurt Landry. Nochmals mitreißendes Feuer.