Kaiserslautern Umberto Eco auf Pilgerreise

Das Mainzer Rathaus ist ein Designstück des Architekturbüros Arne Jacobsens und nicht einmal halb so alt wie Umberto Eco. Aber mit seiner maroden Haustechnik, der bröckelnden Hülle und dem gedrungenen Eingang wirkte es doch sehr vergänglich im Vergleich zum Werk des Italieners, der dort am Donnerstag vom Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling ausgezeichnet wurde: Eco (82), der italienische Semiotiker, Schriftsteller – Autor von „Der Name der Rose“ (1980) – und Bücherfreund erhielt den mit 10.000 Euro dotierten Gutenberg-Preis der Stadt Mainz und der internationalen Gutenberg-Gesellschaft.

So weltberühmt war noch keiner der Preisträger – 2012 war es Elisabeth Eisenstein, Professorin für Geschichte und Forscherin im Bereich der Wiegendrucke. Das Renommee des Preises wird eher in der Fachwelt geschätzt. Eco sagte, er freue sich, dass ihm eine „Pilgerreise zur wahren Wiege des gedruckten Buches“ erlaubt worden sei. „Für den Bibliophilen ist das wie eine Reise nach Mekka oder nach Jerusalem.“ Das Rathaus, in dem Hostessen der Stadt in ihren roten Kostümen und der putzigen Kopfbedeckung zu Diensten waren, war der Ort der Preisverleihung. Im Gutenberg-Museum mit seinen erlesenen Sammelstücken durften Eco und seine Frau Renate Remge-Eco Stunden vorher ihrer Bücher-Leidenschaft nachgehen. In seiner Rede, die Umberto Eco mit „Digressionen eines Bibliophilen“ – Ausschweifungen eines Bücherfreundes – überschrieb, sagte Eco, dass seine Mailänder Bibliothek etwa 30.000 Bände umfasse und dass darunter seltene und wertvolle Exemplare seien. Er beschrieb, dass er oft von einem Anruf phantasiere, in dem ihm eine „über neunzigjährige kranke Witwe “ ein altes Buch zum Kauf anbiete, das sie auf dem Dachboden gefunden habe. Dass Menschen einen kostbaren Schatz zu finden glauben, begegnet dem Büchersammler offenbar häufiger. Doch nur in seiner Phantasie wird daraus ein Buch mit 42 Zeilen pro Seite, mit dem Druckort Mainz, das er zweifelsfrei als Gutenberg-Bibel identifiziert. Er zahlt der Frau 200.000 Euro und holt sich den unbezahlbaren Schatz ins Haus. Eco spinnt die Geschichte weiter: Ein Bibliomane könne, um keine Diebe anzulocken, nur alleine darin blättern und es ansonsten hüten wie Dagobert Duck sein Gold. Der Bibliophile aber wolle allen zeigen, was er besitze. Dann müsse er den Bürgermeister seiner Stadt bitten, das Buch im Hauptsaal der Bibliothek auszustellen, er würde die Bewachungs- und Versicherungskosten der öffentlichen Hand aufbürden, aber er könne nicht das Vergnügen haben, nachts um drei aufzustehen und darin zu blättern. „Dies ist genau das Drama: Die Gutenberg-Bibel zu besitzen wäre, als wenn man sie gar nicht besäße.“ Seine Phantasien, Leiden und Leidenschaften als Büchersammler beschrieb Eco mit dem ihm eigenen feinsinnigen Humor und dem entlarvenden Blick auf die Mitmenschen. „Wie man sich vor Witwen hütet“ schrieb er einmal als Ratschlag an die Schriftstellerkollegen, sorgsam mit Notizen umzugehen, die die Nachwelt nicht sehen soll. Die Geschichte erschien 1992 in dem Band „Wie man mit einem Lachs verreist“. Damals war er noch Ordinarius an der Universität Bologna. Sein langjähriger Verleger, der amtierende Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Michael Krüger, näherte sich in seiner Laudatio an das „Gesamtkunstwerk“ Umberto Eco an – als Semiotiker, Journalist, Mittelalterforscher und Autor. Eco habe mit seinem Werk einen Vorhang vor dem „angeblich dunklen Mittelalter“ weggezogen. Krüger würdigte, dass er in den 1970 Jahren dagegen gehalten habe, als „die Geisteswissenschaften dabei waren, ihren Geist aufzugeben“. Auf die Theorie vom Ende der großen Erzählungen habe Eco mit einer sehr großen Erzählung geantwortet. „Es ist die unprätentiöse Klarheit, die ihn so einzigartig macht“, sagte Krüger. An klaren Worten fehlte es auch Eco nicht in seiner Dankesrede. Schon in seinen Büchern werden Leser den Verdacht nicht los, der große Meister treibe manchmal seinen Schabernack mit ihnen. Eco überschrieb einen der Anhänge im „Friedhof von Prag“, seinem 2010 erschienenen Roman mit „Unnötige Hintergrundinformationen“, wissend, dass neugierige Leser schon beim ersten Durchblättern genau an dieser Stelle hängenbleiben. In seiner Rede äußerte er sich über unliebsame Besucher: Er nennt es das „Drama eines jeden, der, auch aufgrund seiner Arbeit, eine größere Bibliothek zusammengetragen hat. die vielen Regale sieht und ausruft: ,So viele Bücher! Haben Sie die alle gelesen?’“ Und was sagt der Meister, um den Besucher in Schreckensstarre zu versetzen? „Nein, das sind die, die ich bis Ende nächster Woche lesen muss, die anderen habe ich in der Uni.“ Die Bibliothek ist für ihn ein Ort des „universalen Gedächtnisses“, in dem auch das zu finden sei, was andere schon vorher gelesen hätten.

x