Kaiserslautern Tiefsinnige Tanzkarikaturen

Ein poppiges Wohlfühl-Ballett ist Kevin O’Day mit seiner ersten Komödie am Mannheimer Nationaltheater gelungen. Obwohl Shakespeares Vorlage für „2 Gents“ als eher platt gilt, findet der Ballettdirektor Momente des Tiefgangs. Thomas Sifflings Musik spannt dazu den Bogen von volkstümlichen Klängen bis zum jazzigen City-Sound und schenkt den Zuschauern einen Ohrwurm. Sie dankten herzlich bei der Premiere am Freitag.

„N’Abend“, sagt der Mannheimer Jazz-Trompeter Thomas Siffling, als würde er einen Kumpel in der Kneipe begrüßen, bevor er dramatisch ansetzt: „Seien Sie willkommen“, spricht er den Prolog, dem vollen Opernhaus zugewandt, „die Geschichte von zwei Herren und zwei Damen anzuschauen, durch Liebesirrungen und Leidenschaft beinah zerrüttet.“ Es wird Sifflings Abend werden: Er komponiert, er dirigiert, er trompetet, er rezitiert, er wird bejubelt, und man gewinnt den Eindruck, dass das Publikum gekommen ist, um seine erste Auftragskomposition für ein Handlungsballett zu hören. Der Spannungsbogen, den der 42-Jährige aufzubauen vermag, trug in Dominique Dumais’ „R.A.W.“ dazu bei, dass das Stück in seiner Wucht mitriss. Auch bei „2 Gents“ findet Siffling eingängige Melodien, steigert den Sound seiner neunköpfigen Band und beschleunigt den Beat bis hin zum Party-Finale. Doch zunächst spielt die behäbige Tuba zum Volkstanz in der Kurpfalz auf. Die Dorfschönheit Julia (Nadège Cotta) dreht sich im Dirndl. Sie wirft den Brief ihres Liebsten Proteus (Brian McNeal) achtlos weg, der sich abgewiesen fühlt und seinem Freund Valentine (Malthe Clemens) nach Berlin folgt. Dem sportlichen Valentine fällt dort die Liebe zufällig zu: Die City-Schönheit Silvia (Julia Headley) – wie eine Marilyn Monroe überm Luftschacht – erwidert seine Zuneigung, wird jedoch auch von Proteus begehrt. Während O’Days „Othello“ historisierend auf das Elisabethanische Zeitalter hindeutete, schweben wir bei „2 Gents“ im Zeitlosen. Das Bühnenbild von Thomas Mika aus zwei Wänden bietet sich als Projektionsfläche fürs Licht dar, und Mark Stanley überzieht die Szenen in plakativen Farben: pink, wenn ein Liebespaar sich findet, blau, wenn Einsamkeit den Blues bringt. Später in der Großstadt werden Quader die Schluchten zwischen den Wolkenkratzern andeuten und ein Versteckspiel zulassen. Denn es schleichen Verbrecher umher, die Valentine in ihre Reihen aufnehmen wollen. O’Day lässt die Gang zwischendurch amüsant tanzen – und zwar angekettet. Als Sträflinge hieven sie die Eisenkugel über die Schulter, lassen die Kette aufreizend schwingen, und jeder darf ein Solo einlegen. Obwohl O’Day ein „Dancical“, ein Musical ohne Text, choreografieren will, verfällt er nicht in Revuetanz-Manier, sondern bleibt ironisch und originell. Die Sträflingskleidung bringt beinahe einen Hauch Wilder Westen – wäre sie nicht bienengelb-gestreift. „Oh, mein Gott“, dachte der Ballettdirektor, als ihm Thomas Mika die Ausstattung vorschlug. O’Days Mut, den Co-Künstlern kreativen Freiraum zu geben, zahlt sich aus: Vor dem klaren Bühnenbild helfen die frech zusammengewürfelten Kostüme, die Charaktere zu karikieren. So plustert sich der Graf (Luis Eduardo Sayago) zum Märchenkönig Ludwig II. auf. Während sich Silvias hartnäckiger Verehrer Thurio (Tyrel Larson) im funkelndem Sakko und auf Steppschuhen wie ein halbseidener Showmaster heranschlängelt. Überhaupt, macht sich O’Day in seiner Interpretation von Shakespeares Geschichte über das Imponiergehabe der Herrenwelt lustig, die dem ewigen Locken des Weibes folgt. Den Tennisprofi Valentine lässt O’Day unsichtbare Bälle hochwerfen und Siegerposen einnehmen, fließend integriert in die Tanzsprache. Das Motiv wird in Nuancen durchdekliniert, und Tänzer Malthe Clemens hält dabei die Balance zwischen Parodie und Mitgefühl. Beim Ausholen mit dem Arm scheint er plötzlich keinen Ball mehr zu schlagen, sondern nach Träumen zu greifen. O’Day nimmt seine Figuren ernst. Besonders ernst bleibt dabei Proteus. Brian McNeal ist ein brillanter Tänzer, der in Kevin O’Days Shakespeare-Stücken stets die Hauptfigur spielte – als eleganter Romeo, als rasender Othello. An Proteus nun kann man nichts Komisches finden, nur Tragisches. Dessen Toga verweist auf die antike Mythologie: den wandelbaren Meeresgott Proteus. Wie dieser wirkt der junge Mann wankelmütig und nach seiner Bestimmung suchend, bis er erkennt, dass ihm seine Julia als Mann verkleidet stets gefolgt ist. Das Leben kann plötzlich so einfach sein.

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