Kaiserslautern Tödliche Qualität „made in Germany“
Der jüngste Rüstungsexportbericht weist aus, dass die Bundesregierung Waffenexporte im Wert von über vier Milliarden Euro genehmigt hat – so viele wie nie zuvor. Philipp Löhle hat das Stück zum Thema geschrieben und sich auf den schwäbischen Waffenhersteller Heckler & Koch konzentriert. Die Uraufführung war am Stuttgarter Schauspiel, kurz bevor am Samstag in Mannheim mit „Du (Norma)“ Löhles nächstes Stück zur Uraufführung kommt.
Wer nun aber denkt, Philipp Löhle, Deutschlands erfolgreichster Theaterautor der mittleren Generation, habe ein Stück zum Thema „Schwerter zu Pflugscharen“ geliefert, der irrt. „Feuerschlange“ trägt wie ein Puzzle vieles rund um das Geschäft mit dem Tod zusammen. Eine Kampfschrift ist das nicht. Wenn überhaupt, dann lehrt uns der Text, dass eine Schnellfeuerwaffe wie das G36 aus dem Hause Heckler & Koch zwar im schwäbischen Oberndorf hergestellt wird, letztlich aber auch nur ein „Gerät“ (so der Herstellers) ist, vergleichbar einer Stihl-Kettensäge. Was dieses für ein schnelles Töten optimal ausgelegte Gewehr gefährlich macht, sind die Hände, in denen es landet. Auftragskiller und korrupte Polizisten in Mexiko zum Beispiel. Dafür dass das G36 trotz strenger gesetzlicher Regelungen abgefeuert wird, wo es gar nicht sein dürfte, sorgen „Master of war“ (Bob Dylan) – und die sitzen im Bundeswirtschafts- und Bundesverteidigungsministerium, im Auswärtigen Amt und in den Botschaften der jeweiligen Länder. Wie das funktioniert, wenn Gesetze umgangen werden, zeigt Löhle in der längsten Szene des Stücks, das in Stuttgart von Dominic Friedel, bis vor Kurzem noch Hausregisseur am Mannheimer Nationaltheater, in Szene gesetzt wurde. Die Szene ist auch ziemlich figurenreich. Es wird klar, dass an Waffendeals so viele Profiteure und Gesetzesverbieger beteiligt sind, dass die Anklagebank im Falle eines Gerichtsverfahren wegen einer unerlaubten Ausfuhr des G36 ziemlich bevölkert wäre. Löhle könnte solche Erkenntnisse einfließen lassen, vermeidet aber den pädagogischen Zeigefinger und zitiert lieber in bleierner Ausführlichkeit „Die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“. Susanne Schieffer gibt das Schachtel-Kauderwelsch vorne an der Rampe so lange zum Besten, bis man kapiert: Schon in der Willenserklärung der politisch Verantwortlichen steckt die Wurzel allen Übels. Auf der Bühne ist die Szene Teil eines Panoptikums unterschiedlicher Spielformen, mit denen die Regie auf den Stilmix im Theatertext reagiert. Löhle bietet einiges auf vom orientalischen Märchenton bis hin zur Krimiatmosphäre. Regisseur Dominic Friedel reagiert unter anderem mit Puppenspielereien und Tanzperformances von Berit Jentzsch, die wie ein willkürliches „Jetzt machen wir mal Kunst jenseits von Schauspiel“ wirken. Dagegen stehen Glücksgriffe wie der, dass das Ensemble des Abends mit 14 Kindern aufgestockt wurde. Das hat Charme und überzeugt nicht nur, wenn drei Mädchen vorne an der Rampe erzählen, was sein könnte, wenn sie Mütter so unterschiedlicher Söhne wie Matthias, Devid und Rashid wären. In dieser Szene ist Löhle ein globaler Netzwerker und führt vor, was wäre, wenn der Devid aus Oberndorf sich plötzlich „radikalidingst“, im ziemlich Nahen Osten einen auf Islamist macht und auf Matthias aus Oberndorf trifft, der dort als Bundeswehrsoldat unterwegs ist. Es könnte sein, dass die beiden sich gegenseitig mit einem der G36 töten, an dessen Herstellung Rashid beteiligt gewesen wäre, der nach seiner Flucht aus eben jenem ziemlich Nahen Osten in der schwäbischen Provinz gelandet ist und froh war, eine Arbeitsstelle zu finden: bei „Lecker und Loch“ in Oberndorf am Neckar.