Kaiserslautern Suche nach Sicherheit
Für Muhammad Naveed Anwar entscheidet sich heute vor Gericht sein Leben. Er hat Todesangst. Es geht um die Frage, wie es sein kann, dass ein Mensch mit offensichtlichen Folterspuren abgeschoben werden soll. Und darum, welche Macht und Bedrohung die Taliban in Pakistan darstellen. Und nicht zuletzt um eine Fülle von verfahrensrechtlichen Fehlern seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die Anwars Anwalt auflistet.
. Es fällt Muhammad Naveed Anwar nicht leicht, seine Geschichte zu berichten. Und wie findet man in einer fremden, neuen Sprache Worte für ein solches Grauen? „Sie haben mir die Nägel rausgerissen“, sagt der Pakistani, zeigt seine Hand, fährt über einen seitlich nicht ganz verwachsenen Fingernagel, dann über die langen Narben auf dem Rücken der rechten Hand. Ein ärztliches Attest listet 14 Folternarben, ein posttraumatisches Syndrom, Angstzustände auf. Seine Wangen sind gerötet, der Blick gesenkt. Erst erzählt er langsam und stockend, redet dann eindringlich. Immer wieder: „Ich renne seit acht Jahren weg. Ich bin müde, ich kann nicht mehr. Ich arbeite doch, will nichts vom Staat. Ich habe doch nur Menschen beschützt und suche jetzt einen sicheren Ort zum Leben.“ 2007 wird der Schüler einer Koranschule, der aufgrund mangelnder Perspektive als Feldarbeiter ein sunnitischer Imam werden will, sich „für Frieden einsetzen“ will, von den Taliban entführt. Im Camp bringen sie „uns den Umgang mit Waffen und Bomben bei“. Dann die Aufforderung: Er solle einen Sprengstoffgürtel umlegen, sich auf einem belebten Basar in die Luft jagen, möglichst viele Menschen mit in den Tod reißen. Muhammad Naveed Anwar weigert sich und wird daraufhin gefoltert. Nach der zweiten Aufforderung zu einem Selbstmordattentat kann er fliehen: in den Iran, die Türkei, Griechenland, dann mit Schleppern über Kopenhagen nach Belgien. Mitte 2013 kommt er dort an – als 30-Jähriger, seit sechs Jahren auf der Flucht, ohne Kontakt zu Eltern und Geschwistern. Die sind nach anhaltenden Drohungen auch geflohen, vermutlich nach Saudi Arabien, erfährt er durch einen Anruf bei ehemaligen Nachbarn. „Immer, wenn ich wo angefangen habe, mich zurecht zu finden, mich zu integrieren, musste ich weiter rennen“, sagt er und sinkt mut- und kraftlos in sich zusammen. „Überall sagen sie, mein Land ist gut. Aber wer verwickelt war mit den Taliban, wird nicht überleben. Ich habe Angst, ich werde direkt nach der Rückkehr umgebracht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie meine Freunde gestorben sind.“ Sein Körper ist angespannt, Tränen stehen in seinen Augen. Nach Deutschland kommt Muhammad Naveer Anwar im Dezember 2013, stellt im Januar 2014 einen Asylantrag. Und damit beginnt die Kette der verfahrensrechtlichen Fehler, die sein Anwalt ausgemacht hat. Die Überstellungsfrist nach Belgien verstreicht, somit sollte Anwar hier ein Asylverfahren ermöglicht werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Außenstelle Trier, lehnt ab, beruft sich außerdem auf eine Anhörung – die laut Anwalt und Kläger nie stattgefunden hat. Anwar soll abgeschoben werden, doch diesen Bescheid vom Mai 2014 hebt das Verwaltungsgericht im November auf, verweist zurück ans Bamf. Es passiert: nichts. Im Mai 2015 kommt erneut ein Bescheid: Die Durchführung des Asylverfahrens wird abgelehnt, ein Abschiebeverbot wegen Gefahr für Leib und Leben sei nicht erkennbar. Es bleibe ihm eine Woche zur Ausreise. Da schaltet sich Anwalt Detlev Albrecht ein, reicht eine Klageschrift zur Aufhebung des Bescheides mit Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Trier ein. Der Eilantrag wird abgelehnt, denn: Die zuständige Ausländerbehörde Kusel bestätigt dem Gericht, dass sie keine baldigen Schritte zur Abschiebung plant. Der Verhandlungstermin wird auf eine Einzelrichterentscheidung und auf Oktober festgelegt. Derweil bekommt Anwar sogar eine Arbeitserlaubnis, tritt am 1. Juli seine feste Stelle in Kaiserslautern in einem Dönerladen an. 35 Stunden die Woche zum Mindestlohn – er kann sich jetzt selbst unterhalten, zahlt sein Zimmer in Lauterecken, sein Essen, ein bisschen was für seinen Anwalt. Der hat inzwischen die Klageschrift erweitert. Seiner Meinung nach zeigen nicht zuletzt Dokumentationen des Informationszentrums Asyl und Migration, die zur Beurteilung der Sicherheitslage in einem Land dienen, dass die Bedrohung durch Taliban in Pakistan zunimmt. In dem Verfahren soll es also nicht nur um die Aufhebung des Abschiebungsbescheids gehen, sondern Albrecht möchte entweder die Zuerkennung von Asyl oder die Anerkennung als Flüchtling, würdig des internationalen Schutzes, erreichen. Denn auch er ist überzeugt, dass die Rückkehr seines Mandanten dessen Tod bedeuten werde.