Kaiserslautern „Sind am Beginn einer Revolution“

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Martin Walker ist ein rastloses Multitalent. Er studierte in Oxford und Harvard und machte Karriere als Politikjournalist. Heute veröffentlicht er jedes Jahr einen Bestseller über den Périgord-Polizisten Bruno und geht mit seinen Büchern auf ausgedehnte Lesereisen. Der 68-jährige gebürtige Schotte, der in den USA und Frankreich lebt, hat nun Zeit gefunden, einen Roman über die Zukunft Deutschlands zu schreiben: In „Germany 2064: Ein Zukunftsthriller. Die Welt von morgen“ (Diogenes) schildert Walker die neuen technischen Entwicklungen und das Alltagsleben im Jahr 2064.

Warum spielt Ihr Zukunftsthriller in Deutschland?

Ich kenne das Land sehr gut, denn ich hatte in den vergangenen Jahren bei Ihnen etwa 300 Lesungen in 200 Städten. Entscheidender ist jedoch, dass Deutschland für mich zurzeit das spannendste Land Europas ist. Wie kommen Sie darauf? Das hat viele Gründe: Nicht nur wegen seiner Wirtschaftskraft, sondern wegen der Stärke der verschiedenen Regionen, dem Fehlen einer einzelnen dominanten Stadt wie Paris oder London und wegen der Fragen, die sich aus seiner demografischen Entwicklung ergeben. Ich bin Mitglied eines Think Tanks der Washingtoner Beratungsgesellschaft A.T. Kearney – und in dieser Funktion haben meine Kollegen und ich Zukunftsszenarien entwickelt, in deren Mittelpunkt Deutschland stand. Auf diesen Recherchen und zahlreichen Gesprächen mit Politikern, Forschern, Unternehmern und Soziologen basieren große Teile meines Romans. In „Germany 2064“ gibt es futuristische High-Tech-Städte, doch ein Teil der Bevölkerung zieht sich in naturnahe, selbstverwaltete Gebiete zurück. Ein realistisches Szenario? Das ist durchaus möglich. Wenn ich durch Deutschland fahre, sehe ich schon jetzt den Gegensatz zwischen den Leuten, die die High-Tech-Zukunft verinnerlicht haben und sie genießen und denen, die zurück zur Natur wollen. Es gibt eine wachsende Kluft zwischen Skeptikern und Begeisterten. Wo würden Sie lieber leben? In beiden Bereichen abwechselnd, so wie einige meiner Romanfiguren. Die wohnen zwar in den Städten, machen aber Urlaub ohne ihre Smartphones in den Öko-Kommunen. Ich glaube, wir brauchen beides, und ich habe großen Respekt für Menschen, die sich nach einem natürlicheren Leben sehnen. Im Périgord leben wir den ganzen Sommer vom Gemüse aus unserem Garten und von unseren Hühnern. Unsere eigenen Lebensmittel anzubauen und zu kochen, das ist für mich und meine Familie etwas ganz Besonderes. In Ihrem Roman sind fahrerlose Autos und Chip-Implantate zur Gesundheitsüberwachung Standard. Außerdem trägt fast jeder Bürger einen Personal Communicator, PerC. Pure Fiktion? Nein, denn diesen PerC, ein weiterentwickeltes Smartphone mit Hologramm-Bildschirm wird es bald auch für die breite Masse geben. Und ich glaube, dass die Gesundheitssysteme zunehmend darauf drängen werden, Überwachungschips zu tragen. Im Gegenzug werden sie eine deutliche Reduzierung der Mitgliedsbeiträge anbieten. Und dass es fahrerlose Transportsysteme geben wird, zeichnet sich jetzt schon ab. Wie technik-affin sind Sie denn selbst? Wie alt ist Ihr privates Smartphone? Ziemlich alt. Und es ist auch nicht besonders smart. Aber es hat zwei SIM-Karten, eine für Europa und eine für die USA, da ich ständig pendle. Grundsätzlich bin ich nicht sehr begabt im Umgang mit moderner Technik. Ich lese gerne echte Bücher und höre lieber Livemusik, als mir Konzerte im Netz oder auf DVD anzugucken. Und mein Lieblingsauto ist ein alter Citroën 2cv. Glauben Sie, dass es in 50 Jahren tatsächlich empathische Roboter wie in „Made in Germany“ geben wird? Ich bin mir sicher, dass sie tatsächlich mit uns leben werden. In japanischen Kliniken habe ich gesehen, wie demente Patienten voller Zuneigung Roboter-Tiere streicheln. Und im Irakkrieg habe ich US-Soldaten getroffen, die traurig waren, wenn sie nicht mehr gemeinsam mit ihren Roboter-Kumpeln Gebäude durchsuchen und Bomben überprüfen durften. Im Deutschland des Jahres 2064 wird man nicht an ihnen vorbeikommen. Wir befinden uns bei diesem Thema am Anfang einer echten Revolution! Welche wichtigen Trends sehen Sie noch voraus? Wir können relativ sicher sein, dass wir auf ein post-fossiles Energiesystem zusteuern, dass die Industrieproduktion wieder regionaler wird, dass Automation und Roboter die Herstellung weiterhin verändern und viele traditionelle Jobs gefährden. Sicher ist auch: Die Dominanz Europas und Amerikas wird zunehmend von Asien gebrochen, die wirtschaftliche Bedeutung und Erkundung des Weltalls nimmt zu, und die große Zeit der Globalisierung wird langsam zu Ende gehen. Sie wirken, als ob Sie überhaupt keine Angst vor der Zukunft haben. Stimmt das? Ja. Ich bin immer optimistisch. Wir Menschen sind Überlebende, Kakerlaken mit Gehirnen. Wir sind wie Bill Clinton: wild genug, um uns in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen, aber schlau genug, um wieder rauszukommen. Lesezeichen —Martin Walker: „Germany 2064: Ein Zukunftsthriller. Die Welt von morgen“; Diogenes; 432 Seiten; 24 Euro.

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