Bundestagswahlen 2021 Redaktionsmitglieder erinnern sich an ihre ersten Bundestagswahlen

Gleich ist das Ziel erreicht: Morgen ist Bundestagswahl, durch die das Kanzleramt nach 16 Jahren Merkel neu besetzt wird. Im Ode
Gleich ist das Ziel erreicht: Morgen ist Bundestagswahl, durch die das Kanzleramt nach 16 Jahren Merkel neu besetzt wird. Im Odenwald im Kreis Bergstraße haben einige täglich einen kurzen Weg, wenn sie nach Wahlen suchen.

Am Sonntag wird in Deutschland der mittlerweile 20. Bundestag gewählt. Einige Redaktionsmitglieder erinnern sich zurück, was bei ihrer ersten Stimmabgabe die großen Themen waren – politisch wie persönlich. Und sie rufen auf: Gehen Sie wählen, liebe Leserinnen und Leser!

Benjamin Ginkel: „Sollen wir beim Ausfüllen helfen?“

2002. Abi in der Tasche, 18 Jahre alt. Studiengang noch ungewiss. Vielleicht Lehramt. Beim Patienten-Hol- und Bringdienst des Westpfalz-Klinikums am Standort Kusel im fast unermüdlichen Einsatz. Zivildienst, das kennen die Jungen ja heute nur noch vom Hörensagen. An den Wahltag selbst, den 22. September 2002, kann ich mich heute freilich kaum noch erinnern, war bestimmt ein sonniger Herbsttag, der erst um die Mittagszeit begann. So war das an meinen Wochenenden damals. Seufz. Ziemlich sicher bin ich, dass im Wahllokal gescherzt wurde – auf dem Dorf kennt schließlich jeder jeden und Neuwähler werden da gern mal – scherzhaft – auf die Probe gestellt: „Sollen wir beim Ausfüllen helfen?“ Natürlich wurde das Angebot dankend abgelehnt. Aber tatsächlich war die Entscheidung, wo 2002 die Kreuzchen zu machen sind, nicht einfach. Obwohl (oder gerade weil) ich in der – so steht’s in einer RHEINPFALZ-Ausgabe aus dem Jahr 2002 – „roten Bastion“ Landkreis Kusel aufgewachsen bin. Der Wahlkampf jedenfalls blieb im Gedächtnis: Gerhard Schröder (SPD), der in Gummistiefeln beim Elbe-Hochwasser tolle Pressefotos gemacht hat und Edmund Stoiber, der bayerische CSU-Ministerpräsident, traten gegeneinander an. Nicht zu vergessen Guido Westerwelle (FDP), der unter anderem mit seinem peinlichen Heranwanzen an Jungwähler für Schlagzeilen sorgte. Wo meine ersten beiden Wahl-Kreuzchen letztlich gelandet sind? Das bleibt mein Geheimnis. Das hab’ ich selbst dem Wahlvorstand im Wahllokal damals nicht verraten. Zwinkersmiley. Am Wahlabend feierte sich dann übrigens Stoiber als Wahlsieger. Allerdings nicht sehr lange ...

Gabriele Schöfer: Kohl und kein Ende

Obwohl ich mich aus Kindheitstagen noch dunkel an die Zeit von Willy Brandt und etwas heller an die Ära von Helmut Schmidt zu erinnern vermag (oder mir das zumindest einbilde), konnte es für mich – Baujahr 1969 – in meiner Jugend als Kanzler eigentlich nur einen geben: Helmut Kohl. Gefühlt hatte der gewichtige Oggersheimer in seiner legendären Strickweste damals ein Dauer-Abo auf den Posten des Regierungschefs. Er war die Angela Merkel meiner Generation. Dass er wie „Mutti“ das Amt nach 16 Jahren einmal würde räumen müssen, war für uns schwer vorstellbar, schließlich hatte er über meine gesamte Teenagerzeit und Jahre darüber hinaus das Nachrichtengeschehen beherrscht.

Auch 1990, als ich – inzwischen Studentin – das erste Mal an einer Bundestagswahl mitstimmen durfte, blieb natürlich alles, wie es war. Helmut Kohl, der sich damals als „Kanzler der Einheit“ feiern ließ, stand auf dem Zenit seiner Karriere, sprach viel von „blühenden Landschaften“ und wurde bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl auch – was sonst? – wiedergewählt. Sein Konkurrent Oskar Lafontaine, der vor den Folgen der Einheit gewarnt hatte, blieb chancenlos.

Nicht dass ich das alles sofort parat gehabt hätte! Selbst in welchem Jahr ich zum ersten Mal zur Urne schritt, musste ich erst errechnen. Denn als ich in meinen tiefsten Gehirnwindungen nach Erinnerungen an meine erste Bundestagswahl kramte, fiel mir partout nur meine alte Grundschule auf dem Kotten wieder ein, die ich zu diesem Anlass nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder betrat: Der lange Flur mit den vielen Türen und der Uhr, der Geruch nach Kreide und nassem Schwamm und am Hausmeisterständchen nach Vanillemilch und Kaba im Tetrapack. Dort, wo ich einst als Abc-Schützin die Schulbank drückte, hab ich dann an diesem 2. Dezember 1990 mein erstes Kreuz gemacht. Da ich nie eine Wahl ausgelassen habe, muss es so sein. Eine Erinnerung daran hab ich nicht. Denn danach war ja nichts anders: Kohl war wiedergewählt und alles wie immer.

Christian Clemens: Denkwürdige Elefantenrunde

Die Bundestagswahl 2005 ist in vielerlei Hinsicht eine besondere Wahl – und das hat nichts damit zu tun, dass ich erstmals über die Zusammensetzung des Bundestages mitentscheiden durfte. Schon, dass die Wahl stattfand, war besonders, denn turnusgemäß hätte das Parlament erst 2006 neugewählt werden sollen. Doch SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder führte durch eine Vertrauensfrage im Bundestag Neuwahlen herbei – mit schwierigen Mehrheitsverhältnissen. Die CDU, erstmals mit Kanzlerkandidatin Angela Merkel angetreten, konnte nicht mit dem Wunschpartner FDP regieren, die SPD, nur noch zweitstärkste Kraft, nicht weiter mit den Grünen. Am Wahlabend verfolgte ich vor dem Fernseher, wie die Spitzenkandidaten der Parteien in der Elefantenrunde diskutierten. Dabei legte Schröder einen derart denkwürdigen Auftritt hin, dass man sich fragte, ob der Noch-Kanzler betrunken war. „Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel in dieser Sachlage eingeht, in dem sie sagt, sie möchte Kanzlerin werden? Also ich meine, wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen“, erteilte Schröder einer großen Koalition unter Führung Merkels selbstsicher eine Absage. Und er legte nach: „Sie wird keine Koalition unter ihrer Führung mit meiner sozialdemokratischen Partei hinkriegen, das ist eindeutig. Machen Sie sich da gar nichts vor.“ Ein Irrtum, wie sich zeigte. Deshalb wird die Bundestagswahl 2021 irgendwie erneut ein erstes Mal für mich, denn erstmals, seit ich wählen darf, wird die Kanzlerin nach der Wahl nicht mehr Angela Merkel heißen.

Andreas Sebald: Die Angst vor „Red Oskar“

An meine ersten Urnengänge 1994 – da waren in Rheinland-Pfalz im Juni Kommunalwahlen und im Oktober dann Bundestagswahlen – erinnere ich mich nicht mehr so richtig. Da es ja geheime Wahlen waren, verrate ich an dieser Stelle nicht, welcher Partei ich im Herbst 94 meine Stimme gegeben habe. Das weiß ich nämlich noch. Auch meine erste Briefwahl, vier Jahre später, hab ich noch gut im Gedächtnis. Im September 1998 waren erneut Bundestagswahlen. Der Wahltag war der 27. September, das weiß ich deshalb noch so genau, weil das auch der erste Tag meines Auslandsjahres war. Während ich also irischen Boden betrat, wählten die Menschen in Deutschland Helmut Kohl als Bundeskanzler ab und ebneten den Weg für sieben Jahre Rot-Grüne Regierung im Bund. Ich hatte zuvor meine beiden Stimmen per Brief abgegeben und verfolgte den Ausgang gefiltert durch irische und britische Medien. Die hatten vor allem Angst vor dem neuen Superminister Oskar Lafontaine, von den Briten „Red Oskar“ getauft. Doch die Angst war eher unbegründet. Lafontaine machte sich nach nur wenigen Monaten im Amt vom Acker. Da habe ich es in Irland länger ausgehalten als er in der Regierung, nämlich bis zum Juni 1999. Da waren dann wieder Kommunalwahlen in Deutschland. Und Zeit für meine zweite Briefwahl.

Benjamin Ginkel
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Gabriele Schöfer
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Christian Clemens
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Andreas Sebald
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