Kaiserslautern Poetin der Versunkenheit

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Paloma Varga Weisz, 1966 in Mannheim geboren, gehört zu den wichtigsten und interessantesten Künstlerinnen ihrer Generation. Gezeigt wird ihr Werk auch in New York, Paris, Turin. Sie ist in Neustadt aufgewachsen. Morgen Abend bekommt sie im Museum Pfalzgalerie in Kaiserslautern den mit 12.000 Euro dotierten Holbach-Preis Stiftung zur Förderung der Kunst in der Pfalz. Eine Begegnung.

Kunstbiennale, Venedig 2005, beliebtestes Bilderspektakel der Welt. Im Arsenale damals, in der zentralen Schau im italienischen Pavillon, eine Installation in gedimmten Licht. Zu sehen waren verrenkte Figuren mit aus Holz geschnitzten Gesichtern, Händen, Füßen, an Aufbauten gebunden. Schlaff hing einer dieser Körper hoch oben. Tot offensichtlich. In hellen Leinen. Das Gesicht entrückt. Die Erwürgte, sie schien erlöst. Die Gehängte daneben wirkte undurchdringlich dagegen, trug einen Sack über dem Kopf, der auch die bösen Ahnungen des Betrachters düster umhüllte. Die dritte Leidensgestalt saß wie gerädert auf einem Plateau und sah erhaben schön aus. „Galgenfeld“ hieß die unklar berührende Installation von Paloma Varga Weisz, inspiriert von einer Radierung Rembrandts, wie sie selbst sagte. Der erste ganz große Auftritt der – noch – eher unbekannten Künstlerin. Und gleich mit Aplomb. An der Seite von internationalen Stars wie Marlene Dumas, Thomas Schütte, Thomas Ruff oder dem Spanier Antoni Tapies. Paloma Varga Weisz, 1966 in Mannheim geboren. Aufgewachsen in Neustadt an der Weinstraße, hieß es auf dem venezianischen Hinweisschild. In der Pfalz. Der Reporter seinerzeit war: überrascht. Und jetzt sitzt sie ihm also gegenüber. Im Neustadter Kaffeehaus Fridericus, das Lokal ist ihre Wahl. Ihr feingezeichnetes Gesicht. Offen schaut sie, mit Restskepsis. Sie wuschelt sich ausdauernd das rasant schwingende Haar. Sie ist aus Düsseldorf angereist, wo sie seit zehn Jahren in einem Loftatelier arbeitet und lebt. Es gibt Dinge mit dem Haus der alle schon verstorbenen Großeltern und Eltern zu regeln. Die Schwester passt auf die Kinder auf. Laslzo und Ferenc, acht und elf. Federkleid-artig spitzkragt ihr die blaue Bluse bis zum Kinn. Sie trägt Jeans und Sneaker. Paloma Varga Weisz, was für ein toller Name, die Tochter des ungarisch-französischen Künstlers Ferenc Varga und einer Chemikerin aus Neustadt, ist inzwischen eine der wichtigsten Künstlerinnen ihrer Generation. Mit international vernetzten Edel-Galerien in Düsseldorf/Berlin (Konrad Fischer), London (Sadie Coles) und New York (Gladstone), Ausstellungen im MoMa, in Paris, Turin. „In zwei Jahren steht eine große Einzelausstellung in Maastricht an“, weiß sie jetzt schon. Sie zeigt Fotos einer Installation, die sie gerade für eine hochkarätige Luther-Ausstellung vorbereitet. Heute aber war sie erst mal in der Pfalz unterwegs. In der Landschaft ihrer früheren Jahre. Im Wald, den sie, wo sie jetzt wohnt, herzblutend vermisst. Vorbei an der ehemaligen, damals noch verwunschen verwahrlosten Villa auf der Hambacher Höhe, in der sie in ihrer Kindheit gespielt hat. Im dazugehörigen Turmzimmer. Zusammen mit dem Sohn des Neustadter Oberbürgermeister-Chauffeurs, wie sie sich erinnert. Sie hege, sagt sie, keine Heimatgefühle. Aber Verwurzelung spürt sie augenscheinlich schon. Bei Paloma Varga Weisz herrscht eben Ambivalenz vor. Auch im Werk. Figurative Arbeiten aus Holz, Keramik, Textilien und Hinterlassenschaften aus dem Neustadter Dachboden. Ein Dazwischen von Melancholie und Rätsel, Tier und Mensch, Leben und Tod, Belebtem und Unbelebten, gesund und krank, Mann und Frau, mittelalterlicher Kunsttradition und heutiger Alltagsbeobachtung, Intimität und Mythos. Die Kunst sieht sie als Bühne. Einem gigantischen Cherubin ähnlich fährt eine Gestalt hernieder. In der Thomas Schütte Stiftung in Holzheim bei Neuss. Die Fachpresse feiert die retrospektiven Varga-Weisz-Ausstellung gerade hymnisch. Der Körper der „Fallenden Frau“ ist in graphitgrauen Stoffbahnen malerisch verschlungenen, die an der Decke befestigt sind. Die Hände erschreckend real. Flattern nah über dem Boden. Die Erscheinung trägt ein zartes Doppelgesicht, dessen Augen auf der einen Seite geschlossen, auf der anderen halb geöffnet sind. Ihr berühmter „Beulenmann“ sitzt dort auf geschichtetem Holz im weiten Rund und blickt versonnen. Die bauchige Figur an der Wand, in sich verschlossen. Ein Torso im silbrigen Kapuzen-Anzug. Das Inbild einer Schwangeren. Öfter ist in ihren Werken auch ihr eigenes Gesicht abgebildet. Selbst Erlebtes rumort in ihren Werken. in „Still Life“ aus dem Jahr 2016, wie sie als Kind manchmal Schneewittchen-gleich unter dem Glastisch im elterlichen Wohnzimmer lag, während Besuch da war. Eine Figur im Nachthemd des Urgroßvaters wacht wie tot unter einem Glasgestell, auf dem die Chemieutensilien ihrer Mutter drapiert sind. Beinahe gruselig ist das. Ein Rest von Geheimnis bleibt wie üblich. „Ich möchte mit meiner Kunst“, sagte sie, „kein konkretes Gefühl vermitteln, aber im Betrachter eins auslösen“. Im „Fridericus“ wird ihr jetzt Tee serviert. Kaum vorstellbar, sie zu duzen. Sie ist trotzdem zugewandt. Paloma Varga Weisz hat eine dreijährige Holzbildhauerlehre gemacht. In Garmisch-Partenkirchen. Dann wechselte sie 1990 an die Düsseldorfer Kunstakademie. Sie wusste damals, wie man Lindenholz mit schnellen Bewegungen und Achatstein poliert, so dass es fast wie Keramik leuchtet. Wie cool geht, wusste sie nicht. Die Kunstszene sei für sie „ein Schock“ gewesen, sagt sie jetzt. Sie schnitzte tagelang am Augenlid einer Figur herum und landete in der Klasse von Tony Cragg. „Eine ziemliche Katastrophe“ im Nachhinein. Auch bei Gerhard Merz später muss es nicht besser gewesen sein. „Er hat an uns nur sein Wissen überprüft.“ Ihr Urteil über den Prof fällt eher ernüchternd aus. Auch die anderen Studierenden blieben ihr künstlerisch wohl ziemlich fremd. Sinnbild ist die 1993 im Studium entstandene, wunderbar poetische Lindenholzarbeit „Hirsch, stehend“. Schnitzkunst. Die früheste Arbeit, die in atemraubend schön inszenierten Neusser Ausstellung zu sehen ist. Als Geweih, gefundene Zweige – drapiert. Dressiert macht das Tier Männchen. Aber es wendet dem Betrachter dabei vielsagend den Rücken zu. Und auch heute noch stehen in Gruppenschauen ihre schwer einzuordnenden Arbeiten – unter anderem wegen ihrer handwerklichen Präzision – meist quer zum gedankenschwer konzeptionellen Rest. Wie Requisiten einer wundersamen Märchenstory wirken sie. Sie werden neben Picasso platziert, oder den Surrealisten, erzählt sie. Sie weiß auch nicht, was sie davon halten soll. Nur selten jedenfalls harmoniert ihr rätselhafter ausdrucksstarker Realismus so gut wie mit der Kunst von Weltstar Rosemarie Trockel, mit der sie 2012 im Leverkusener Museum Morsbroich eine Ausstellung bestritt. „Maison de Plaisance“, was Landhaus und Lusthaus gleichermaßen bedeuten kann, hieß die Doppel-Schau der beiden Frauen. Von Varga Weisz gezeigt wurde zum Beispiel eine schwermütig am Schreibtisch sitzende Figur, die Nase ein Penis, so mächtig, dass Abstützmaßnahmen notwendig sind. Oder ein Weinfass, aus dem Kinderbeine ragen, als sei ein zaubernder Winzer am Werk gewesen. Und gleichzeitig könnte „Ohne Titel (Kleines Fass)“ ein Verweis auf die früher im Weinbau übliche Kinderarbeit darstellen. In Leverkusen lief auch der Film „deux artists“ von Bernd Stoll. Er ist in Neustadt aufgenommen, 1986. Darauf zu sehen: Sie, Paloma, und ihr Vater Ferenc, damals schon 80 Jahre alt, ein an der École des Beaux-Arts und Arts et Metiers in Paris studierter Bildhauer und Freund von Picasso. Sie zeichnen sich. Modellieren. Sie albern rum wie die Künstlerin heute manchmal noch in Zeichnungen wie „Hundepups“, 2005. Sie verkleiden sich. Einmal erscheint Paloma im Stil einer Pariser Bohémienne der späten 1920er Jahre, rauchend. Papa Ferenc trägt Hitler-Bärtchen und Buster-Keaton-Hut, immer noch einer ihrer Lieblingsrequisiten. Stolls Film ist Dokument der einjährigen „Ausbildung“, die Paloma Varga Weisz bei ihrem Vater gemacht hat. Mit 20. Jetzt sagt sie, sie habe den Film, den manche Ausstellungskuratoren nicht zu Unrecht wie Archäologen motivisch auswerten, jahrzehntelang nicht mehr gesehen. Nachdenklich schaut sie jetzt. Versunken wie eine ihrer Figuren. Ihr weltläufiger Vater, der 1940 vor den Nazis nach Cagnes-sur-Mer geflüchtet ist, muss, so wie sie jetzt erzählt, in der Pfalz nicht recht glücklich gewesen sein. „Plötzlich hatte er statt des Meeres ein drei Quadratmeter großes Atelier“. Seine Vergangenheit ist Paris und Südfrankreich muss für ihn fern wie ein Märchen-Mond gelegen haben. Neustadt, für Ferenc Varga war die Bewegung in die Provinz offensichtlich: ein Abweg. Seine Tochter hat die andere Richtung eingeschlagen. Vom Rand ins Zentrum. Der Holbach-Preis, den sie jetzt bekommt, der Reporter war in der Jury, ist auch der Versuche einer Art leisen Heimholung. Es gehe darum, aus einer Begabung ein Werk zu machen, sagt sie noch. Dann muss sie wieder weg. Termin Die Stiftung zur Förderung der Kunst in der Pfalz verleiht am Freitag, 5. Mai um 19 Uhr im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern Die Ausstellung Paloma Varga Weisz in der Thomas Schütte Stiftung in Neuss/Holzheim. Bis 12. August. www.thomas-schütte-stiftung.de

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