Kaiserslautern Pfalztheater-Schauspielerin Erika Groß gestorben
Erika Groß – in Berlin geborene Beamtentochter – spielte bereits mit Anfang 20 am Heidelberger Zimmertheater, das sich als eine der ältesten Privatbühnen Deutschlands damals wie heute der zeitgenössischen Dramatik verschrieben hat. Pfalztheater-Intendant Wolfgang Blum, der heute mit 101 Jahren im Rheinland lebt, holte das Spreegewächs 1980 vom Neckar an die Lauter. Obwohl ihr zweiter Mann aufgrund seines Offiziersrangs häufig versetzt wurde, ließ sich das Paar in der Pfalz nieder.
Unvergessen ist in Kaiserslautern vor allem ihre ergreifende Darstellung der Putzfrau John in Hauptmann „Ratten“, die nach dem Verlust ihres Babys einem noch ärmeren Dienstmädchen dessen unehelichen Säugling abkaufen will: verzweifelt, lauernd, niederträchtig und armselig zugleich. Erika Groß war eine Menschenbildnerin, die mit wenigen Gesten, einem Augenaufschlag, einer Nuance ihrer Stimme ein ganzes Leben erahnen ließ. Sie war alterslos und damenhaft elegant, wandlungsreich und einfühlsam, verehrt und geliebt im klassischen wie im modernen Fach.
Adel mit Seelentiefe
Auf der Lauterer Bühne am Fackelrondell erschien sie als Dirne, die den frivolen „Reigen“ von Schnitzler erst in Gang setzt; als treue Gefährtin in Millers „Tod eines Handlungsreisenden“; als Frau des Herbergswirts von Gorkis „Nachtasyl“; als verarmte Lebedame Ljubow im „Kirschgarten“ von Tschechow; als kokette junge Witwe Célimène im „Menschenfeind“ von Molière. Ihr hiesiges Rollenbuch verzeichnet Autoren wie Botho Strauß und Fitzgerald Kusz. 1983 spielte sie unter der Regie von Walter Weyers in der deutschen Erstaufführung von Jorge Diaz’ „Töte deinen Nächsten wie dich selbst“. Gemeinsam mit 2019 verstorbenen Sybille Beuttner gab die das greise Giftmörderinnen-Duo in Kesselrings „Arsen und Spitzenhäubchen“.
Das Spiel der Erika Groß war seelen- und hingebungsvoll, unaufdringlich fernab jeglicher Effekthascherei. Das belegt eine ungewöhnliche, aber vielsagende Episode, die ich im Herbst 1984 miterlebt habe. Damals spielte sie in Dale Wassermans Bühnenversion des Romans „Einer flog über das Kuckucksnest“ (Regie: Renier Baaken) die heuchlerische, durch und durch fiese Oberschwester Ratchet so eindringlich, dass sie ob ihrer abgefeimten Boshaftigkeit beim Schlussapplaus mit wüsten Unmutsbekundungen überschüttet wurde.
1990 verließ sie das Pfalztheater und zog sich von der Bühne zurück. Ihre letzten Lebensjahre waren verdunkelt von einer schweren Demenz. So ist Erika Groß grausam langsam hinter unserer Erinnerung an glanzvolle Theaterabende verschwunden. Am 1. Oktober starb sie in einem Pflegeheim in Pforzheim.