Kaiserslautern Nicht von der Stange
Auch wenn das Ludwigshafener Festival des deutschen Films dieses Jahr einen Schwerpunkt auf Fernsehproduktionen legt und den Schauspielpreis an die vor allem durchs Fernsehen bekannten Darsteller Jan Josef Liefers und Anna Loos vergeben hat, sind auch sie noch im Programm: die wilden Filme. Vertreter des Autorenkinos, das auch über die Stränge schlägt.
Von Berlin ausgehend gibt es seit einer Weile ein neues Kino jenseits des Fernsehfördersystems. Ungestüm und oft ohne Drehbuch gehen Regisseure wie Axel Ranisch („Ich fühl mich Disco“) und die Brüder Lass ans Filmemachen heran – und räumen Auszeichnungen ab. „Love Steaks“ von Jakob Lass, produziert von Golo Schultz aus Speyer, gewann Hauptpreise bei den Festivals in München und Saarbrücken (). In Ludwigshafen läuft „Love Steaks“ zwar nicht. Dafür „Familienfieber“, die neue, ebenfalls improvisierte Arbeit des Berliners Nico Sommer. Der Film porträtiert zwei Elternpaare und ihre ineinander verliebten Kinder, die ihre Eltern zu einem Abend aufs Land einladen. Dort bröckeln die Fassaden – mit oft urkomischen Folgen. Nico Sommer zeigt Alltagsszenen, die sonst im Kino fehlen – so darf Hauptdarsteller Peter Trabner einen Toilettengang ebenso zelebrieren wie das Putzen danach –, und lässt seine Schauspieler Dialoge entwickeln, die so echt wirken, dass das Publikum begeistert auflacht. Der Regisseur, der im Vorjahr in Ludwigshafen mit „Silvi“ begeisterte, will neue Wege gehen. Den Zuschauer beteiligen. Vieles dem Zufall überlassen. „Familienfieber“ hat er in sieben Tagen gedreht, mit vier Seiten Drehbuchvorlage – für Förderanträge zu wenig. Außerdem hatte er wie seine Berliner Kollegen keine Lust, lang auf Finanzzusagen zu warten, um nicht die ursprüngliche Energie zu verlieren. Die schnellen, improvisierten Filme aus der Hauptstadt „sind frisch und anders, nicht von der Stange“, beschreibt Sommer im RHEINPFALZ-Gespräch die Gemeinsamkeiten. „Es ist definitiv eine kleine Welle“, sagt er über die Berliner Filmszene, die seiner Meinung vor allem von Impro-Darsteller Peter Trabner zusammengehalten wird, der auch in den Filmen von Axel Ranisch Dauergast ist, bei Tom Lass spielte („Papa Gold“) und auch in „Silvi“ schon zu sehen war – als der „nette Schrankmann“, wie er selbst sagt. Der Theatermann Trabner ist eine Rampensau im besten Sinne. Das erlebte das Parkinsel-Publikum gestern auch beim Filmtalk, als der Berliner seine Straßentheaterkünste vorführte und seine „Tricks“ beim Improvisieren verriet: Zwei Worte genügen ihm, um sich einzufühlen. Von „Familienfieber“ ist eine ungewöhnliche Fortsetzung geplant, verriet Nico Sommer: ein interaktiver Film. Mehrere Versionen der Geschichte, in der ein neuer Mann und ein neuer Konflikt vorkommen, seien abgedreht. Bei Kinovorführungen solle der Film angehalten werden, um abzustimmen, wie es weitergehen soll. Sommers Vision: „Jede Vorführung ist ein Unikat.“ Vorbild sind ihm die Entwicklungen im Videospiel-Sektor und in den Neuen Medien, wo das Interaktive immer wichtiger werde. Sommer denkt also groß. „Ich bin eher progressiv“, nennt er das. „Familienfieber“ läuft zwar leider „nur“ in der Nebenreihe „Lichtblicke“, doch auch im Wettbewerb sind einige eigensinnige Filme zu sehen. In „Vergiss mein Ich“ geht Regisseur Jan Schomburg der Frage nach, was unsere Identität bestimmt: Sein Film erzählt von einer Soziologin (Maria Schrader), die nach einer Gehirnentzündung nicht mehr weiß, wer sie ist. Sie versucht, wieder in ihr altes Ich zu schlüpfen. Doch dabei rekonstruiert sie die Lena von früher nur aus Tagebüchern und Videos. Bis sie in eine Affäre ausbricht. Denn Lena hat auch vergessen, was sich so „gehört“. Mal wirkt sie autistisch, mal kindlich, was Maria Schrader intensiv spielt. Leider gehen Jan Schonburg aber die Ideen aus, um die spannende Frage nach der Definition des Ichs weiterzuführen. Der Film reicht so nicht an sein starkes Debüt „Über uns das All“ heran, das 2011 auf dem Festival lief. Um das Erforschen einer Identität geht es auch Alfred Behrens in „Der Schatten des Körpers des Kameramanns“. Der Filmemacher spürt in persönlichen, dokumentarischen Bildern, die nicht immer zu seiner Erzählstimme aus dem Off passen, Erinnerungen an seinen einst besten Freund nach. Mit den Worten Prousts im Kopf: „Wir schreiben, um die, die wir lieben, unsterblich zu machen.“ 1970 hat dieser Jan Christoph Jansen Suizid begangen. Behrens kehrt an die alten Orte zurück, taucht ein in die Gedanken der 1960er Jahre, als den beiden jungen Intellektuellen die Welt offen zu stehen schien, sie ihr Leben aber an der Literatur ausrichteten. Becketts Roman „Murphy“ war ihnen realer als die Wirklichkeit. Ein Leben in Zitaten, nun ein hörspielhafter Film aus Zitaten: Behrens Videotagebuch hinterfragt auch die Regeln des Filmemachens. Als Schreiben mit der Kamera sieht er sein Projekt. Die Qualität seiner Filmbilder fällt zwar stark ab gegenüber der Kraft seiner Gedanken. Dennoch ist sein egofixierter Film ein anregendes Experiment.