Kaiserslautern Kunst mit Biss und Wildschweinfell

Wie geht das denn, das Porträt eines Menschen, das aus einer Telefonkabine, einem Ballkleid und Bauzeichnungen besteht? Aus einem Kartoffelstampfer aus der Schweinemast? Den Abdrücken von Gebissen und einem Spielzeug-Porsche? Dem Fell eines Wildschweins? Die Künstlerin Susanne Egle jedenfalls kriegt das hin. Ihre materialreichen biografischen Skulpturen riechen sogar nach Zahnarzt, wenn es sein muss. Zu sehen sind sie derzeit in der Landauer Villa Streccius.

Die Ilbesheimerin aus Stuttgart trägt das Haar kurz und organisiert strubbelig, auf dem Gesicht ein Lächeln - normalerweise. Jetzt allerdings gerade nicht. Sie hat Sorgen. Ihre Mutter ist krank. Also pendelt Susanne Egle zwischen Krankenhaus und der Landauer Villa Streccius hin und her. Die 56-jährige Bildhauerin hat dort eine Einzelausstellung. „Lands-Leute“, heißt die Schau, die eine andere Art von Porträts zeigt – mit Siebensachen. Susanne Egle hält ihr Mobiltelefon griffbereit, als wir uns dort treffen. An der Wand hängt ein Werk, das aussieht wie ein Ohr, aus dem der Rüssel eines kleinen Elefanten kragt. Es klackt aus dem Teil heraus, die Tonspur eines Computer-Tomographen. Sie habe große Überredungskunst gebraucht, sagt Susanne Egle, um an die O-Töne zu kommen. Sie schaut - leicht versonnen. Es war ihr wichtig, vielleicht auch, weil sie eigene Erfahrungen mit dem Röntgenapparat gemacht hat. Und weil der Monoton-Ton ein letztes Detail war für ihr aus einem Bürostuhl geformten Ohr-Objekt, das jetzt für einen HNO-Arzt einsteht. Wie er heißt, bleibt ein Geheimnis. Dass er beim Fahrradfahren rote Handschuhe anhat und beim Arbeiten Designerkleidung trägt, kann man aber anhand der Skulptur über ihn schon erfahren. Außerdem ist er Porsche-Fahrer, wie ein Eins-zu-eins-Modell seines Autos verrät. Sehr geerdet wirkt dagegen die Künstlerin. Die Garderobe lässt auf eine Geschäftsfrau schließen. Ihre Biografie weist eine Steinmetz- und Bildhauereilehre aus, Gesellenjahre auch im Ausland, Studium der Bildhauerei in Kassel und Karlsruhe, Stipendien in London und Paris, Lehrtätigkeit. Zwei fast erwachsene Kinder hat sie. Dieses Jahr wird sie neben der Schau in Landau auch in Freiburg und Trier ausstellen. Bei der Kunstmesse „art“ in Karlsruhe war sie vertreten. Ihr Galerist nimmt Werke von ihr mit zur und Busan Art Show und KIAF in Südkorea. Seit über einem Jahrzehnt arbeitet Susanne Egle jetzt schon daran, vielsagende Skulpturen aus Schlangenhäuten, Bürgermeisterketten und bürgerlichen Gesetzbüchern zu bauen. Manchmal reichert sie ihre Kunst, die gleichzeitig Kommentar ist, mit Fundstücken vom Flohmarkt oder Sperrmüll an. Anonymität sagt sie ihren Porträtierten zu und lässt das notariell verbürgen. Sie weiß eben, wie viel Intimität ihre Werke beinhalten. Dinge, die schweren Herzens hergegeben werden. Geschichten aus der Mördergrube, die dazu gehören und – als Extratext – mitausgestellt werden. Sie erzählt, dass dem Rechtsanwalt die Tränen gekommen seien, als er sich selbst gegenüberstand, porträtiert mit der Hotte, die er sich als Kind schon für die Weinlese auf den Rücken schnallte. Jetzt steht der Tragekorb auf den Rädern seines ersten Fahrrads. Ein Kartoffelstampfer, mit dem der Advokat damals das Schweinefutter angerührt hat, ragt in sie hinein. Gestützt wird das Arrangement durch einen Bauchladen aus einem alten Spieltisch. Susanne Egle hat sie mit Seiten des Bürgerlichen Gesetzbuchs beklebt, betreffend das Baurecht. Sie gesteht, dass sie, als das Werk entstand, gerade damit zu tun hatte. Fast unvermeidlich, dass die Porträts der anderen sie selbst auch mitbeschreiben. Sehr naheliegend, das man sich als Betrachter überlegt: Welche Dinge könnten für mich stehen? Susanne Egle sagt, sie sei bei dem internationalen Ausstellungsprojekt „Carambolage“ darauf gekommen, aus den persönlichen Dingen von Leuten deren Porträts zu montieren. Um nationale Identitäten ging es damals. Was ist typisch deutsch? So was eben. Ihr fiel schnell ein, dass die Sachen etwas darüber aussagen könnten, die einem was bedeuten. So wie der Architektin der Helm, den sie auf ihrer ersten eigenen Baustelle getragen hat, darauf die Autogramme von Kollegen. Typisch deutsch? Wohl eher nicht. Dafür zeigt das kugelige Kunstwerk aus einer Telefonzelle, in dem der Helm, verdeckt durch die Rüschen eines roten Ballkleids, steckt, die Architektin schon sehr genau. Ihren Hang zum Luxus zum Beispiel, der von einer Einkaufstüte repräsentiert ist – und von dem Kleid, das wie ein Trichter in die Überreste der Telefonzelle gespannt ist, die die Architektin in einem von ihr umgebauten Geschäftshaus entdeckt hat. An der Wand hängen, wie bei allen anderen „Lands-Leuten“ jeweils auch, zwei Tafeln. Auf der einen das Foto von dem, was die Architektin Susanne Egle übergeben hat, samt Inventurliste. Auf der anderen steht die Geschichte zu dem roten Kleid, das die Architektin bekommen hat, als sie noch Schülerin war. Eine Überraschung für den Abschlussball, die den Eltern viel zu teuer war, eigentlich. Die Kunst von Susanne Egle, die oft auch ästhetisch überrascht und ungewöhnlich geformte Mikrokosmen hervorbringt, ist für alle Beteiligten eine Recherche-Reise, bei der die ganz großen Gefühle zum Vorschein kommen. Beim Porträt des Zahnarztes, der leidenschaftlich gern herumbosselt, hält ein Schraubstock mehrere Lagen Bretter. Eingespannt sind auch die zerquetschten Schuhe des Dentisten. Und die Abdrücke von Gebissen. Den Praxis-Geruch hat Susanne Egle mit Essenzen aus der Apotheke nachgemixt. Es riecht nach Angst. Die Geschichte des Rechtsanwalts geht so, dass die alte Frau, die er als Zivildienstleistender betreute, sich in ihn verliebte. Sie war sich sicher, dass bald schon die Welt untergehen würde. Greisinnen wären dann wieder 21. Sie starb in dem festen Glauben daran, dass sie und der Zivi heiraten würden. Der HNO-Arzt sah im Rückspiegel, wie seine Freundin, auf dem Mofa fuhr sie ihm hinterher, von einem Auto erfasst wurde. Er hielt ihren Kopf, bis der Rettungshubschrauber eintraf. Ein paar Tage später starb sie. Susanne Egle selbst wird, während sie in ihrer Ausstellung umherläuft, eine Spur sentimental. In einem Raum läuft ein Film, den sie während ihres Stipendiums an der Cité Internationale des Arts Paris aufgenommen hat. Ein Ort, an dem sich jedes Jahr über 1000 Stipendiaten aus der ganzen Welt aufhalten. Susanne Egle hat 2004 dort Dutzende Kollegen, Künstler, Schriftsteller, Choreografen nach ihrer Meinung über das „Lands-Leute“-Projekt befragt, das in Teilen schon bestand. Herausgekommen ist ein vielstimmiger Film in allen möglichen Sprachen, der jetzt in der Villa Streccius zu sehen ist. Eine soziale Plastik für sich und ganz nebenbei auch eine Arbeit über nationale Identitäten. Einer spielt seinen Kommentar als Ton-Collage ab. Einer hält lange Reden. Und ein Perfomancekünstler aus Israel tanzt ihn sogar. Ein Erlebnis. Die ganze Schau.

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