Kaiserslautern „Kreativität kennt keine Rente“

Eine der markantesten Stimmen des Rock’n’Roll feiert heute ihren 70. Geburtstag: Ian Gillan, der Sänger von Deep Purple. Gillan prägte mit seinem Gesang Rock-Klassiker wie „Child In Time“, „Black Night“ und „Smoke On The Water“, den wohl bekanntesten Song der britischen Band. Mit Ian Gillan, der auch solo und mit seiner eigenen Ian Gillan Band recht produktiv und erfolgreich war, sprach Christian Hanelt.

Sie feiern in diesem Jahr Ihren 70. Geburtstag – haben Sie da schon einmal daran gedacht, in Rente zu gehen?

Klar, manchmal habe ich schon daran gedacht, alles hinzuwerfen – aber ernsthaft war dieser Gedanke nie, dafür ist die Liebe zur Musik viel zu groß. Außerdem kennt Kreativität keine Rente. Man sollte allerdings abtreten, ehe es peinlich wird und die Menschen nicht mehr wegen der Musik kommen, sondern um einem Mann beim Altern zuzusehen. Viele Rock-Musiker erfüllen sich gegen Ende ihrer Karriere den Wunsch, mit einem klassischen Orchester aufzutreten. Ihre erste Platte mit Deep Purple war 1970 das „Concerto For Group And Orchestra“. Im Frühjahr waren Sie nun mit „Rock meets Classic“ auf Tour. Worin haben sich diese beiden Projekte unterschieden? „Rock meets Classic“ hat nichts mit klassischer Musik zu tun – es ist einfach ein Konzert mit einer Rockband und einem Orchester – mehr nicht. Klassik ist da ein irreführender Begriff, sieht aber auf Plakaten gut aus. Wir spielen da nur Purple-Songs mit Orchester. Was wir 1969 gemacht haben, war völlig anders, denn das Stück wurde von Jon Lord und mir eigens für Rockband und Orchester geschrieben, war also eine Verschmelzung von Rock und Klassik – und zu der habe ich schon ein enges Verhältnis, geprägt vor allem von meinem Großvater, einem Opernsänger. Und als kleiner Junge war ich begeisterter Kindersopran im Kirchenchor. Wie sind Sie dann zum Rock’n’Roll gekommen? Ich hatte viele Einflüsse. Mein Onkel war zum Beispiel Jazzpianist. Den Rock’n’Roll aber habe ich durch Elvis Presley entdeckt. Er war ein anständiger Kerl, der leider von zu vielen Schleimern umgeben war. Und letztlich hat er dann wohl auch seine Integrität verloren. Seine Musik muss man einfach hören, ohne auf seine strassbesetzten Kleider zu sehen, die aus all seiner Kunst eine Farce gemacht haben. Ich sehe es als eine Lektion, diese Fallen zu vermeiden. Bei der Band Episode Six habe ich alles über Harmonien und Bühnentechnik gelernt. Und schließlich habe ich einige nette Leute getroffen, die mir Orchester-Komposition nahegebracht haben, ebenso Jazz, Swing, Blues, Folk, Soul – und das alles war und ist Deep Purple. Sind es allein diese vielen stilistischen Einflüsse, die den Sound von Deep Purple ausmachen? All die Rockbands dieser Zeit, also vor allem der 70er Jahre, waren dominiert von der Gitarre. Purple aber war eine Mixtur aus Keyboards und Gitarren, was einen ganz anderen Sound ergab. Und: Die meisten Bands hatten einen oder vielleicht zwei Virtuosen in ihren Reihen. Wir aber haben niemals jemanden in unsere Band gelassen, der weniger zu bieten hatte. Wird es demnächst ein neues Deep Purple-Album geben? Wir sind gerade dabei, neue Songs zu schreiben, was wieder mal sehr spannend ist, denn da sind ein paar großartige Ideen dabei. Purple ist ja primär eine Instrumentalband und deshalb kommt die Musik stets an erster Stelle. Die Texte entstehen erst ganz zum Schluss. Das ist immer noch eine faszinierende Erfahrung – das hat sich seit 1969 nicht verändert. Und ein neues Solo-Album? Vielleicht kommt das im nächsten Jahr. Im Augenblick steht das neue Purple-Album im Vordergrund. Welche Bedeutung hat eine CD heutzutage – dient sie nur noch zur Werbung für die neue Tournee, mit der Musiker ihr Geld verdienen? Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung davon, wie dieses Business mittlerweile arbeitet. Das hat sich in den vergangenen Jahres alles so dramatisch verändert. Viele dieser Elemente, mit denen ich groß geworden bin, funktionieren heute nicht mehr. Es ist heute kein Musikbusiness mehr, es ist eine Musikindustrie. Und alles, was damit zusammenhängt, einschließlich dem Produkt, hat sich verändert. Wir schreiben unsere Sachen noch ganz traditionell, um sie dann primär live auf der Bühne zu spielen. Live klingen bei Deep Purple die Songs jeden Abend anders. Wollen Sie sich so selbst den Spaß an der Musik bewahren? Unsere Bühnenpräsentation basiert auf der Improvisation. Wir geben den Songs einen Rahmen, den wir in jedem Konzert neu ausfüllen. So gleicht ein Konzert nie einem anderen. Pavarotti sagte mal zu mir: „Ich bin so neidisch auf Dich, Du singst ,Smoke On The Water’ sechsmal und jedes Mal klingt der Song anders. Das ist ganz anders als bei meinen Arien. Wenn ich die nur einmal anders als gewohnt singen würde, würden mich die Kritiker und das Publikum kreuzigen, denn sie erwarten jede Nacht genau das Gleiche.“ Ist das nicht ein wunderbares Kompliment? Im Rock’n’Roll hat man die Freiheit, eine bestimmte Straße immer wieder entlang zu gehen und dabei doch immer wieder andere Schritte zu tun.

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