Kaiserslautern Im Land der Mitternachtssonne

Für Theaterautoren gehört das Festival inzwischen zu den wichtigsten in Deutschland: Der Heidelberger Stückemarkt überrascht aber immer wieder auch mit einem Gastland. Dieses Jahr war Finnland an der Reihe.

Die Grenze zu Russland ist lang, aber auch das dürften die Finnen mit der ihnen eigenen Gelassenheit akzeptieren. Im Norden hält man Kontakt zu eisigen Polarnächten, im Süden leuchtet auf der anderen Seite der Ostsee Sankt Petersburg. Und dazwischen? In Finnland, so Jukka-Pekka Pajunen, der diesjährige Stücke-Scout, werde überall und immer Theater gespielt. Bei nur 5,4 Millionen Einwohner könne man pro Jahr auf über drei Millionen verkaufter Theaterkarten verweisen. Auch das ist ein Alleinstellungsmerkmal für ein Land, das in den Pisa-Rankings Spitzenplätze belegt. Dass die Finnen ihr Theater so lieben, hat damit zu tun, dass es immer noch „ein wichtiger Baustein der lokalen Identität ist“. Selbst in den kleinsten Städten findet man subventionierte Bühnen. Es stellte sich dieses Jahr also eine Theaternation vor, die so ganz anders ist als die letzten Gastländer Türkei und Ägypten, wo die Theaterszene sich auf die Hauptstädte konzentriert. Die finnische Theater-Infrastruktur ist mit der deutschen vergleichbar, und die Theatermacher haben den unschätzbaren Vorteil, dass die städtischen Bühnen noch selbstverständlicher Bestandteil des kommunalen Gefüges sind. Was finnische Zuschauer auf der Bühne angeboten bekommen, war zu Beginn des Festivals anhand von vier Gastspielen zu sehen. Sie kamen, obwohl es über das Land verteilt doch so viele kommunale Theater gibt, interessanterweise alle aus Helsinki, präsentierten aber auch Schauspiel auf hohem Niveau. Finnische Schauspieler können alles. Wie gut sie singen können, bekam man unter anderem in „Das Jahr des Hasen“ zu hören, einer Adaption des in viele Sprachen übersetzten Erfolgsromans von Arto Paasilinna: Ein Journalist hat eine Begegnung der dritten Art und lernt mit einem Hasen den finnischen Konsumterror kennen, bevor er sich auf den Spuren von Henry David Thoreau in die Wälder zurückzieht. Man verließ das Theater mit dem Gefühl, finnische Zuschauer können ganz zufrieden sein mit ihrem Theater, müssen aber auch viel Zeit mitbringen. Wie wie sehr die Finnen ihr Theater schätzen, zeigt eine ganz nüchterne Zahl. Im Land der Mitternachtssonne werden pro Saison ungefähr 100 neue Stücke uraufgeführt. Das sind so viele wie in Deutschland. Berücksichtigt man aber, dass die Bundesrepublik mehr als zehnmal so viele Einwohner wie Finnland hat, bedeutet das: Es gibt dort vergleichsweise zehn Mal so viele Uraufführungen wie in deutschen Landen. Drei von ihnen wurden zu Beginn des diesjährigen Stückemarkts in szenischer Lesung vorgestellt, eines davon wird am Sonntag den mit 5.000 Euro dotierten Internationalen Autorenpreis erhalten. Überraschend war, dass zwei der vorgestellten Theatertexte sich nicht anfühlten, als seien sie für die Bühne geschrieben worden. Pipsa Lonkas „These little town Blues are melting away“ ist ein episch stagnierender Monolog, der wie fast alle der in Heidelberg vorgestellten Theatertexte mit globalisierungskritischen Elementen spielt. Im langsam dahin schmelzenden Blues einer Kleinstadt mehren sich die Zeichen, der Spiegel der Nordsee könnte steigen. Die Alten werden in einem Heim ruhig gestellt, eine rüstige Dame allerdings entzieht sich, lässt sich auf’s Meer treiben und entsteigt in New York taufrisch den Wellen. Ob aus dem Text in einer ausgereiften Inszenierung etwas zu machen wäre, ließ sich genau so wenig einschätzen wie im Fall von Emilia Pöyhönens „Jeder von uns“, einem eher essayistischen Text über dieses Gefühl, aus der Zeit zu fallen. Ganz anders erging es den meisten Zuschauern dann wohl im Fall von Juha Jokelas „Der Patriarch“. Einer der bekanntesten Theater- und TV-Autoren Finnlands stellt pensionierte Männer ins Zentrum, die im Laufe ihrer sozialdemokratischen Karriere Posten und chauvinistische Attitüden häuften. Man denkt unwillkürlich an den deutschen Gazprom-Altkanzler, wenn ein gewisser Heimo seiner Frau eröffnet, das mit dem Altersruhesitz in Südfrankreich sei doch nichts mehr, in Finnland warteten neue Aufgaben. Zurück in der Heimat muss Heimo aber registrieren, dass die Zeiten sich geändert haben. Es kommt zum Clash der Generationen, er kann seine Macho-Attituden nicht mehr wie gewohnt ausspielen. Auch dieser Text spielt mit dem lakonisch-ironischen Tonfall, den man dem finnischen Naturell spätestens seit Aki Kaurismäki ganz selbstverständlich zuordnet. Finnische Autoren, so der Eindruck, wissen um dieses Klischee und bedienen es mit größter Selbstverständlichkeit. Im Fall von von „Der Patriarch“ geschieht das sprachlich derart ausgefeilt, dass Juha Jokela am Wochenende durchaus der Preisträger des Internationalen Autorenpreises sein könnte. Am Sonntagabend wird man dann auch wissen, wer von den sechs deutschsprachigen Autoren den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis ergattern konnte.

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