Kaiserslautern Im Himmel gibt es mehr Lametta
Mit einer Neuinszenierung von Arrigo Boitos Oper „Mefistofele“ setzten die Pfingstfestspiele Baden-Baden ihre Auseinandersetzung mit dem „Faust“-Stoff fort. Regisseur Philipp Himmelmann schafft großartige, cineastische Bilder zu überwältigender Musik. Ins Herz schießt diese Inszenierung dennoch nicht. Das Innenleben der Personen, ihr Sehnen und Begehren, ihr Streben und Lieben, bleibt uns weitgehend fremd.
Und das also soll es jetzt gewesen sein? Zwei Liebesabenteuer (wovon das eine, mit der antiken Helena nur ein Traumgebilde war) sollen ausreichen, um sich für alle Ewigkeit der Hölle zu verschreiben? Das glaubt doch keiner. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Boitos Faust um den Spaß in Auerbachs Keller gebracht wird, weil die Szene nicht vertont wurde. Nein, es ist schon richtig, wenn Regisseur Philipp Himmelmann und sein Bühnenbilder Johannes Leiacker sowie die Kostümbildnerin Gesine Völlm Zweifel anmelden. Eigentlich ist das ein bisschen wenig als Gegenleistung für ewige Verdammnis. Gerade in dem Moment, in dem Faust erkennt, wie ein sinnvolles Leben aussehen kann, wird er nach oben zum Chef abberufen, damit der seinen Wettgewinn einstreichen kann. Überhaupt: Was ist das für ein Gott, der Wetten auf seine Geschöpfe abschließt? Einer, dessen Himmel vor allem aus einem riesigen Lametta-Vorhang besteht. Erste Szene der Oper: Der Himmelschor erklingt, kommt langsam näher, ehe sich erste, weiß geschminkte Gestalten durch den beschriebenen Vorhang kämpfen. Elvis ist darunter, Rudolph Mooshammer, Marilyn Monroe und was sonst noch so Rang und Namen hatte. Alle mit Klamotten, die an die Hippie- und Discozeit erinnern. Das soll der Himmel sein? Na ja, warum nicht. Schließlich sieht der Teufel irgendwie auch aus wie Robbie Williams, und die Hölle ist schließlich auch nur eine Spaßgesellschaft. Also zumindest jene satanistische Versammlung auf dem Brocken. Kein Wunder, wenn sich Faust da vielleicht weder für die eine, noch für die andere Welt entscheiden möchte und seinen eigenen Weg gehen will. Schließlich führt trotz allem Streben, trotz aller glücklicher und unglücklicher Liebe kein Weg am Tod vorbei. Der ist in Baden-Baden allgegenwärtig. Als riesiger Totenkopf, der sowohl Spielfläche für die Personen, als auch Projektionsfläche für Videos ist. So gelingen großartige, beeindruckende Bilder. Das Festspielhaus wird zum gewaltigen Kinosaal, die Bühne zur Breitbildleinwand. Das ist mitunter überwältigend in seiner Wirkung. Berührend ist es nicht. Das ist mit Boitos Musik ähnlich. Der Mann hat sich vieles abgeschaut, unglaublich viel gelernt. Er hat eine Musik geschaffen, die neben großen emphatischen Momenten innige lyrische Augenblicke bietet, sich dann mitunter aber nicht entscheiden kann, ob sie nun Filmmusik oder Operette sein will. Den Münchner Philharmonikern und dem großartig singenden Philharmonia Chor Wien ist das unter der Leitung von Stefan Soltesz ziemlich egal. Die spielen und singen mit offenem Visier. Gefangene werden keine gemacht. Und deshalb jagt es einem immer wieder Gänsehautschauer den Rücken hoch. Was sagt man über den Sachsen Wagner im fränkischen Bayreuth: „Er is scho a Hund, der Wagner.“ Der Boito auch. Und Erwin Schrott erst. Früher sozusagen der Mann an der Seite von Anna Netrebko. Heute der Obermacho auf der Bühne, immer der schmierig-charmante, vor Virilität schier zerplatzende Don Giovanni-Verführer. Oder eben Mefistofele. Ein Bühnentier. Ein Ereignis an Präsenz. Und das stimmlich wie darstellerisch. Da hätte die Regie durchaus noch mehr rauskitzeln können. Ein bisschen wirkt es so, als sei der Superstar der Festspiele, der auf Plakaten in der Altstadt wie auf einem riesigen Transparent vor dem Festspielhaus omnipräsent ist, verschenkt an diesem Abend. Und wenn Boito seinen Teufel auch stimmlich tief hinab führt, fehlt es Schrott an der Tiefe, um die Hölle glaubhaft zu verkörpern. An Schrotts Seite steht mit Charles Castronovo ein Faust, der mit den zum Teil durchaus beachtlichen Anforderungen der Partie keine Probleme hat. Er kann in der Höhe strahlen, kann seine Stimme aber auch wunderbar lyrisch führen, so dass man erahnen kann, was Margherita an ihm findet. Alex Penda hat da doch einige Probleme, sich in die Rolle einzufinden. Zunächst wirkt ihre Stimme zu klein, dann neigt sie zu Schärfen in den Höhen. In der Kerkerszene gelingen ihr dann jedoch ebenso berührende Moment wie später Angel Joy Blue in der Rolle der Helena in der klassischen Walpurgisnacht. Termin —Nächste Vorstellung am 19. Mai —Infos/Tickets: www.festspielhaus.de