Kaiserslautern Händel für heute

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Händel, unser Zeitgenosse? An der Oper Frankfurt setzte Regisseur Tilmann Köhler den „Xerxes“ als differenziertes Psychogramm in Szene. Doch fast noch näher an die Gegenwart heran führte Constantinos Carydis am Pult des Orchesters die Musik des Spätbarocks. Er setzte dabei auf spannende Verfremdungseffekte. Ein spannender Abend.

„Xerxes“ (oder im italienischen Original „Serse“) ist die drittletzte Oper Händels und war 1738 ein rechter Flop. Heute ist sie nach „Giulio Cesare“ die meistgespielte Oper des Halleschen Meisters. Sie greift ein venezianisches Libretto auf und ist im Stil der Oper in der Stadt am Lido ganz anders als die ernste Oper des Barocks. Es gibt viele witzige Elemente und sehr viele unterschiedliche Formen, manchmal auch nur ganz kurze, schlaglichtartige Nummern. Die Geschichte ist ebenfalls facettenreich und schwankt zwischen edlen Gefühlen und skurriler Komik. Entsprechend breit ist die Palette der Umsetzung des Stücks auf modernen Opernbühnen. Martin Duncan in seiner legendären Münchner Inszenierung machte aus dem „Xerxes“ eine knallbunte Show, Stefan Herheim spielte in Berlin und Düsseldorf witzig mit Versatzstücken des Barocktheaters. Tilmann Köhler machte bei seiner dritten Händel-Inszenierung an der Frankfurter Oper im Bühnenbild von Karoly Risz und den Kostümen von Susanne Uhl dagegen Theater von heute und für heute. Da werden wie in einem zeitgenössischen Gesellschaftstück die Abgründe in den Beziehungen innerhalb einer Gruppe miteinander auf unterschiedliche Art verknüpfter Menschen herausgearbeitet. Der Raum ist geschlossen, alle sind gefangen in ihren Gefühlen. Offen ist allein der Kontakt zum Publikum durch einen Steg vor dem Orchestergraben. Wir sollen betroffen werden von dem, was hier gespielt wird. Das gelingt der Regie nicht selten sehr wirkungsvoll. Natürlich ist das Konzept nicht neu, und natürlich bedient sich Köhler vieler gängiger Klischees. Aber er hat auch nicht wenige sehr gute Ideen. So beginnt die Produktion mit einem starken Bild. Der Baum, den Xerxes besingt, ist auf eine große Leinwand projiziert, in die sich der König sanft einrollt. Schöner ist das „Largo“ kaum zu inszenieren. Ein analoges Bild steht in der Mitte der Aufführung. Wieder singt Xerxes vor einer riesigen floralen Situation. Er schwankt zwischen Furcht und Hoffnung. Mitten im Mittelteil bricht die Musik urplötzlich ab: ein Schockmoment. Mit derartigen Verzerrungen und Verfremdungseffekten bricht Dirigent Constantinos Carydis die Musik immer wieder auf. Das ist trotz der im Prinzip historisch informierten Spielweise selbstverständlich nicht authentisch, aber bei der barocken Liebe zur Improvisation nicht illegitim. Auch herbe dynamische Kontraste, „schräge“ Spielarten, instrumentatorische Zusätze und der auch von Michael Hofstetter aus Karlsruher Händel-Produktionen bekannte Einsatz von Schlaginstrumenten brechen den schönen Schein der alten Musik auf und rückten die Musik nahe an uns heran. Das Opern- und Museumsorchester zeigt dabei seine Klasse. Überhaupt belegt die Produktion den Rang der Frankfurter Oper im barocken Repertoire, wo das Haus längst zu den ersten Adressen in Europa gehört und den einschlägigen Festivals durchaus Konkurrenz macht. Das gilt auch für die festspielreife Sängerbesetzung. In der Titelrolle begeistert die großartige Gaëlle Arquez durch packende Bühnenpräsenz und einen Gesang von erlesener Schönheit, Klarheit und Wärme, der durch eine Fülle von Farben und subtilen Ausdrucksnuancen ausgezeichnet war. Der Countertenor Lawrence Zazzo, ein bewährter Händel-Sänger, überzeugte als Arsamenes durch Stimmkultur und ausdrucksvolle Phrasierung. Die junge Sopranistin Elizabeth Stuphen (Romilda) sang empfindsam und lyrisch, aber noch ein wenig zu dezent. Mehr Pfiff bei gewinnender stimmlicher Brillanz hatte Louise Alder als Atalanta. Beweglich und klangvoll im Ton sang Tanja Ariane Baumgartner die Amastris. Mit noblem Bariton gab Brandon Cedel den Ariodate – und in der komischen Rolle des Elviro setzte Thomas Faulkner auch sängerisch Zeichen. Großer Jubel bei der Premiere. Termine Vorstellungen am 12., 15., 18., 21., 26. und 29. Januar. Karten unter www.oper-frankfurt.de, Telefon 069 321249494

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