Kaiserslautern Grenzt an Hexerei

Bis zu zehn Hände an den Tasten und ein Mann mit der Mundharmonika: Es geht ab beim Boogie-Woogie-Festival auf der Kammgarn-Bühn
Bis zu zehn Hände an den Tasten und ein Mann mit der Mundharmonika: Es geht ab beim Boogie-Woogie-Festival auf der Kammgarn-Bühne.

Bei der sechsten Boogie Woogie Night am Mittwochabend in der Kammgarn waren 500 Besucher aus dem Häuschen. Was die drei österreichischen, ein ungarischer und ein deutscher Tastenzauberer präsentierten, grenzte nahezu an Hexerei. Und sie bewiesen, dass der Boogie noch lange nicht tot ist. Fast vier Stunden lang war das Kasino am Dampfen und kochte fast über.

Etliche Vorurteile haben die Deutschen gegenüber den Österreichern. So glauben sie, die Alpenländer hätten den besseren Humor – und sie seien behäbig. Erstere Annahme bestätigten Richie Loidl vom schönen Wolfgangsee, Christoph Steinbach aus Kitzbühel und Daniel Ecklbauer aus Traun voll und ganz. Aber Österreicher seien behäbig? Immer wieder müsse irgendeine Silbe so elendig lange gezogen werden, als würde sie sich nur extrem widerwillig aus der warmen Mundhöhle wälzen lassen? Dieses Vorurteil widerlegten die drei „Zwockel“ bereits mit den ersten Takten, als sie mit Unterstützung ihrer Gesinnungsgenossen aus Heidelberg und Ungarn zehnhändig die Tasten traktierten, dass dem Publikum die Spucke weg blieb. So brannte beim Jimi Hendrix-Titel „Red House“ schon auf Anhieb die Hütte. Im Höllentempo ging es mit Daniel Ecklbauer (Markenzeichen: Batschkapp) weiter. Der Trauner sorgte mit „Shame, Shame, Shame“ durch einen manuellen Funkenflug für Verblüffung. Glissandi über die ganze Tastatur und Cluster mit dem Ellenbogen ließen das Stimmungsbarometer merklich steigen. Er hatte aber auch sowohl als eklektischer Jazzer, als auch als ziselierender Rubato-Spieler viel zu sagen. Vierhändig ging es zusammen mit Richie Loidl weiter. Dass man im Salzkammergut gut lustig sein kann, bewies Loidl nicht nur als professioneller Animateur, sondern auch mit jedem Takt. Wie vergnügliche Zirkusflöhe hüpften seine Finger beim „Pintop Boogie“ mit unnachahmlicher improvisatorischer Leichtigkeit über die 88 Tasten. Die Tasten streichelnd, gelassen und dabei keinesfalls nachlässig, spielte er klar strukturiert die gleichmäßigen Achtel- und Sechzehntelnoten, die ganz schön am Zwerchfell des Hörers zupften. Konnte es da noch eine Steigerung geben? Es konnte. Mit Balazs Daniel. „Mister Firehand“, pechschwarzes Haar, knallrotes Hemd, entpuppte sich in der Tat als Grenzgänger zwischen Rachmaninoff und Boogie. Er wühlte in den Bässen und perlte in den höchsten Tönen, dass man meinte, ein ganzes Orchester trumpfe hier auf. „Thank You Mama“ und der „Bumble Boogie“ ließen aber auch atmendes Spiel und Brillanz, gepaart mit dem natürlichen, volksnahen ungarischen Rhythmus, spüren. Hinter seinen wieselflinken Fingern vermeinte man die ungarischen Nationalinstrumente Taragota (ein Blasinstrument) und das Zymbal (eine Art Hackbrett) mit ihrem ganz eigenen, melancholisch erregenden und irgendwie aufrührerisch klingenden Ton zu hören. Beim vierhändigen „Highschool Confidencial“ zusammen mit Harald Krüger hob das Publikum vollends ab. Großes Boogie-Woogie-Spiel alter Schule auf höchstem Niveau zeigte der Heidelberger Krüger. Und als Pyrotechniker entflammte er die Hörer immer wieder mit Rufen wie „Singt mit!“, „Lauter!“, „Macht sie fertig!“. Da schmolzen Elemente der Jazz-, Gospel- und Boogie-Musik schlackenlos zusammen. Die Basshand unterlegte dabei den schweifenden Linien der Oberstimme eine regelmäßige Abfolge von auf- und absteigenden Bluesfiguren. Dieser rhythmische Gegensatz, die meist nur wenig abgewandelte Monotonie der Ostinato-Bassfigur erzeugte unter den Händen dieses Pianisten eine erregende Eindringlichkeit. Christoph Steinbach aus Kitzbühl schließlich entpuppte sich als der „Weiße Blitz“. Zusätzlich goss er noch mit seiner Tastenakrobatik Öl ins Feuer. Er ziselierte auf den Tasten, dass die Zweiunddreißigstel wie Glasmurmeln hüpften. Unglaublich fingerflink traktierte seine Rechte bei Little Richards „Good Golly Miss Molly“ die Tasten, während die Linke gemächlich im Bass begleitete. Dazu konnte er seine flexible Stimme vom schmiegsamen Rock-Gewisper bis zum opernhaften Crescendo hinaufschrauben. Klassisch geschult, entwickelte der Geschwindigkeitssportler einen hochartistischen Feuerwerksstil und erschloss dabei schier unerschöpfliche Quellen der Improvisation durch Auszierungstechnik auf der Basis einer weltoffenen Harmonik. Mit unglaublicher Bühnenpräsenz forderte dazu der Kaiserslauterer Albert Koch mit seinem winzigen Spielgerät von sieben Zentimetern Länge – der Mundharmonika – das Publikum immer wieder Ovationen heraus. Mit virtuosen Drops und Patterns begeisterte Wolfgang Janischowski am Bass, während der aus Kempten stammende Schlagzeuger Christoph Buhse mit raffinierten Schlagfolgen und komplizierten Akzentverschiebungen begleitete. Vierhändig bis zehnhändig ging die Tour de Force im zweiten Set weiter, bis die Tasten glühten. Es glühten aber auch bei manchen Besuchern die Fußsohlen. Denn sie hielt es nicht mehr auf den Sitzen und tanzten – authentisch gekleidet im Stil der 1950er Jahre mit Petticoat und Fred-Astair-Schuhen – wie die Derwische. Selbst nach fast vier Stunden verlangte das euphorisch applaudierende Publikum nach Zugaben.

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