Nachruf Grandezza für alle: Zum Tod des großen Schauspielkünstlers und Menschen Michael Degen

Vom Verfolgten des Nazi-Regimes zum Publikumsliebling der Deutschen: Michael Degen
Vom Verfolgten des Nazi-Regimes zum Publikumsliebling der Deutschen: Michael Degen

Als der Schauspieler Michael Degen im vergangenen Januar seinen 90. Geburtstag beging, wurde er von einem Interviewer gefragt, was wohl über den Tod hinaus von ihm bleibe. „Meine Kinder, meine Bücher und die Liebe meiner Frau“, sagte er. Jetzt, da er tatsächlich gestorben ist, erinnert sich das Publikum vor allem an die ungezählten Rollen, die der so wandlungsfähige wie produktive Mime im Fernsehen spielte.

Die Feuilletons haben ihn stets als Titan des deutschsprachigen Theaters gepriesen. Er debütierte in Berlin, spielte an allen wichtigen Bühnen wie dem Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen, war Hamlet und Molières „Geiziger“, Dorfrichter Adam und „Professor Bernhardi“, Faust und der Tod im „Jedermann“. 1958 ging er für sieben Jahre ans Mannheimer Nationaltheater. Seine späteren Regisseure waren Bühnenzauberer wie Bergman, Buckwitz, Chabrol, Noelte und Schenk. Besonders fruchtbar und hingebungsvoll arbeitete er mit Tabori und Zadek. Zuweilen inszenierte er selbst, las aus Werken der Weltliteratur, machte Hörbücher und -spiele. Sein Rang als einer der bedeutendsten Mimen des zeitgenössischen Theaters ist unbestritten und bleibt es womöglich noch eine ganze Weile.

Die volkstümliche Popularität des Michael Degen beruht freilich nicht auf dessen Bühnen-, sondern auf seiner jahrzehntelangen Bildschirmpräsenz. Schon 1962 fand er zum Fernsehen, in den folgenden Jahrzehnten wurde er in annähernd 200 TV-Spielen und Serienfolgen zum vertrauten Monitor-Gesicht. Dabei bewahrte ihn seine nonchalante Wandlungsfähigkeit vor raschem Verschleiß.

Schauspielkunst, die veredelte

Unter Wert verheizen konnten ihn weder schablonenhafte Drehbücher noch einfallslose Regisseure. Sobald Michael Degen die Szene betrat, spielte er die Qualität und Potenz natürlicher Mimenkunst aus. Wenn es gar zu „-tümlich“, also biedersinnig und klischeehaft zu werden drohte, unterfütterte er seine Figuren einfach mit ein wenig zerstreut-faseriger Selbstironie. So spielte er den Haus- und Herzensfreund der nach wenigen Episoden verwitweten Matriarchin Witta Pohl im Familien-Dramolett „Diese Drombuschs“ und den väterlich-jovialen Chefarzt in „OP ruft Dr. Bruckner“ mit derselben Grandezza, die er redundanter Konfektionsware à la „Traumschiff“ und „Tatort“, Rosamunde Pilcher und „Ein Fall für zwei“ angedeihen ließ. Immerhin konnte er sich und sein Publikum regelmäßig mit Kabinettstücken wie dem schmierigen Bräutigam Bendix Grünlich in Franz-Peter Wirths gediegener „Buddenbrooks“-Adaption beglücken. Sein jovialer Vize-Polizeipräsident Patta, der sich nach oben servil, nach unten autoritär und vor dem Spiegel ungetrübt selbstgefällig gibt, macht noch die x-te Wiederholung der venezianischen Donna-Leon-Krimis zum Fest.

Und dann waren da noch die „Zeitstücke“, mit denen das Fernsehen seinen Bildungsauftrag erfüllen wollte, indem es Vergangenheitsbewältigung betrieb. Unvergesslich Michael Degen als ältestes der „Geschwister Oppermann“ in Egon Monks 1983 gedrehter Feuchtwanger-Verfilmung; als Hitler im Zweiteiler „Geheime Reichssache“ (1988) von Michael Kehlmann; schließlich als jüdischer Großvater im beklemmenden Holocaust-Drama „Babij Jar“ (2003), mit dem Produzent Artur Brauner ans SS-Massaker in der Ukraine erinnerte – geschundenes Land, in dem der Mensch des Menschen Wolf geworden ist.

Während im Tal bei Kiew binnen zweier Tage 34.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder abgeschlachtet wurden, bangte der neunjährige Michael Degen in Berlin um sein Leben. Sein jüdischer Vater war bereits an den Folgen der KZ-Folter gestorben, „unter viehischen Schmerzen krepiert“, wie er später zu Protokoll gab. Ein nicht jüdisches Ehepaar rettete Sohn und Mutter das Leben, indem es die Bedrängten in einer Laubenkolonie versteckte.

Das ist die andere Geschichte des Michael Degen, die mit Schaubühnen-Belustigung wenig, aber sehr viel mit Humanismus und Humanität zu tun hat. In seinem 1999 erschienenen Buch „Nicht alle waren Mörder“ schildert er das Überleben im Verborgenen. „Damit habe ich den Menschen, die uns Unterschlupf geboten und dabei ihr eigenes Leben riskiert haben, ein Denkmal gesetzt“, sagte er später. „ Ich neige nicht dazu, stolz auf meine Arbeiten zu sein. Aber ich freue mich, dass dieses Buch auch heute noch gelesen wird.“

Seine Wut auf die Dummheit

Eine Weile lebte Degen in Israel, wo er die Staatsbürgerschaft annahm und in der Armee diente. Aus der jüdischen Gemeinde in Deutschland trat er aus und wieder ein. 1986 erhielt er Morddrohungen nach seinem vehementen Protest gegen ein Veteranentreffen der „Leibstandarte Adolf Hitler“. Bis zuletzt empfand er „Wut auf die nicht enden wollende Dummheit jener, die unreflektiert jahrtausendealte Feindbilder übernehmen“.

Er war ein großer Schauspieler und ein großer Deutscher. Voilà un homme!

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