Kaiserslautern Es ist Zeit, weiter zu denken

Dass die Inszenierung blutleer sei, kann man ihr wahrlich nicht vorwerfen. Bei den Nibelungen-Festspielen in Worms wird gemeuchelt, gemordet, gerichtet, bis die Bühne entvölkert ist. Und dennoch wirkt die Abschiedsvorstellung Dieter Wedels nach 13 Jahren als Intendant fad. Mangelt es doch der fahrig anmutenden Aneinanderreihung von zugegebenermaßen eindrucksvollen Standbildern an Tiefgang. Der Beifall bei der Premiere am Freitag war sparsam, etliche Zuschauer verließen vorzeitig die Tribüne.

Als hätte es nicht schon genug Ring-Inszenierungen in SS-Uniformen gegeben, steckt Wedel die Nibelungen in Wehrmachtsmäntel. Das ist keine Überraschung: Was liegt näher, als Hebbels Stück mit seiner Überhöhung von Ehre und seinem Helden-Ethos von der Treue bis in den Tod mit dem Wüten der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu assoziieren? Worauf Wedel wirklich aus ist im zweiten Teil der Sage, enthüllt sich erst zum Ende hin, wenn die Burgunder dann in moderner Kampfmontur mit Helmkamera durch ein zerbombtes Haus streichen, wie wir es aus den Kriegsberichten aus Afghanistan oder dem Irak kennen. Dass jetzt die Amerikaner gemeint sind, muss eigentlich nicht noch durch englischsprachigen Funkverkehr untermauert werden. Wedel schlägt einen großen Bogen menschlicher Verrohung und Hybris gegenüber Andersdenkenden vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Wie es aber dazu kommt, dass sich normale, einigermaßen liebenswerte Menschen plötzlich um einen brutalen Mörder scharen, ihn in Schutz nehmen und sogar für ihn in den Tod gehen, dafür bleibt Wedel eine Antwort schuldig. Kriemhild (sehr präsent: Charlotte Puder) muss irgendwann feststellen, dass Menschen, die am Hof zu Worms noch uneins waren, angesichts der Bedrohung ihrer Macht zusammenwachsen, dass sich sogar die eigenen Brüder samt König Gunther (souverän: Christian Nickel) hinter den immer brutaler wütenden Hagen stellen. Lars Rudolph gibt ungemein eindrucksvoll diesen abgrundtief bösen Schlächter von Tronje. Wedel setzt wieder auf große Bilder und drastische Effekte. Sekunden genügen für den Blutrausch, bei dem ein Fahnenflüchtiger kurzerhand enthauptet wird. Genauso unvermittelt werden die Männer zu Tieren, als sie beim Zwischenstopp des Heeres am Hof Bechelarens zu Frauen in einen Zuber steigen. Diese entkommen zwar der Schändung – die Situation entlädt sich aber in einer massenhaften Masturbation. Umso kaltblütiger bricht Hagen dem neunjährigen Sohn Kriemhilds und Etzels das Genick in einer tödlichen Umarmung. Es gibt schöne Einfälle wie Lieder, eine Trommeleinlage auf Ölfässern, die subtil eingesetzte Pracht der von innen beleuchteten Domfenster oder die monumentale Skulptur zweier sich aufbäumender Pferde im Kampf. Je mehr das Stück aber seinem Höhepunkt entgegenstrebt, umso mehr zerfasert die Inszenierung. Denn Wedel überzieht seinen Kunstgriff mit Effekten und Filmeinspielungen. Das Geschehen im großen Saal, der bei Hebbel über den Köpfen der Burgunder angezündet wird, verlegt er in den Untergrund und projiziert es in vorab gedrehten Szenen auf eine Leinwand. Die Spannung auf der Bühne ist dahin. Und der Zuschauer fragt sich, ob er nicht besser ins Open-air-Kino gegangen wäre. Zumal die Filme im Vergleich zu Originaldokumenten oder einschlägigen Actionstreifen geradezu drollig naiv wirken. Wenn sich die Recken durch das zerbombte Haus vorarbeiten, wirken sie eher wie „Männer allein im Wald“ als wie martialische Kämpfer – ganz abgesehen von der altbackenen Kameraführung. Das Schlusswort obliegt Erol Sander. Die Würde der Rolle als König Etzel scheint ihm einen statischen Auftritt nach Winnetou-Manier abzunötigen. Nach einer wortkargen Szene hoch zu schwarzem Ross darf er mit entblößtem Oberkörper die Moral von der Geschichte kundtun, dass die Christenmenschen barbarischer seien als seine kampferprobten Hunnen. Zugegeben: Der letzte Teil von Hebbels Nibelungen wird wohl nicht zu unrecht gemieden oder nur als Epilog erzählt. Mit seinem „Born this way“ hat sich Wedel daran die Zähne ausgebissen. Gerade zum Abschied ist das schade, weil er sich in seiner Zeit als Intendant sehr um die Nibelungen verdient gemacht und mit jungen Autoren zeitgenössische Sichtweisen auf den Stoff eröffnet hat. Er war es, der die Festspiele groß gemacht hat. Schade aber auch, dass er dabei nicht mehr gewagt hat – etwa die spannende Version des israelischen Dramatikers Joshua Sobol vom Jud-Süß-Stoff. Wie dem gerade erschienenen Buch „Das Wunder von Worms“ zu entnehmen ist, hatte dieser für die Festspiele 2011 ein Stück über einen israelischen Waffenhändler geschrieben, der sich mit der Regierung überworfen hat und aus Rache mit einem radikal-islamischen Monarchen Geschäfte macht. Es verschwand in der Schublade. Wedel blieb in seinen politischen Mahnungen stets konsensfähig, mehrheitsträchtig. Jetzt, da die Festspiele groß sind, ist es Zeit, weiter zu denken.

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