Kaiserslautern Ein Mann spricht

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Seit Erscheinen des Romans vor einem Jahr auf Deutsch und einen Monat zuvor, am Tag der Anschläge auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“, im französischen Original, reißt das Interesse an Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ nicht ab. Mehrere deutsche Theater bringen den Stoff jetzt auf die Bühne, etwa in Berlin und Dresden. Den Anfang machte das Deutsche Schauspielhaus Hamburg.

Weitere Terroranschläge und die Flüchtlingskrise befeuerten Ängste und Befürchtungen, mit denen Houellebecq in seinem Gedankenexperiment jongliert: Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2022 bekommt Frankreich einen muslimischen Präsidenten, weil die Sozialisten und Konservativen ein Bündnis mit einer gemäßigten islamischen Partei eingehen, um eine Regierung des Front National zu verhindern. Präsident Ben Abbes sorgt sogleich dafür, dass Schulen und Hochschulen islamisiert und der Bildungsetat radikal gekürzt werden und Frauen aus dem Arbeitsleben und anderen öffentlichen Bereichen verschwinden. Das neue Gesellschaftssystem bietet auch Vorteile, vor allem für Männer: Die Arbeitslosigkeit sinkt und die Polygamie wird eingeführt. Das Erstaunliche daran: Nach einem anfänglichen Schock, geben sogar linksintellektuelle Literaturprofessoren wie der 44-jährige François, aus dessen Sicht die Ereignisse erzählt werden, die Errungenschaften des modernen, laizistischen Frankreich fast widerstandslos auf, sobald ihnen persönliche Vorteile gewährt werden. Dieses Frühjahr werden nun die ersten deutschsprachigen Bühnenfassungen von „Unterwerfung“ gezeigt. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg kürzte Intendantin Karin Beier die 270 Seiten des Romans auf einen Monolog von zwei Stunden und 40 Minuten und hielt sich dabei inhaltlich und sprachlich streng an die Vorlage. Das passte dort, wo Edgar Selge als François sich über Neurosen und sexuellen Fantasien auslässt – und am Premierenabend für zahlreiche Lacher sorgte – und ist dort nicht ganz unproblematisch, wo Houellebecqs teilweise komplizierte Gedankengebäude den Vortrag erschweren. Weite Teile des Romans spielen sich in François’ Kopf ab. Er sinniert über seinen Lieblingsschriftsteller Joris-Karl Huysmans, den er darum beneidet, dass er sein spätes Glück im Katholizismus finden konnte; er grübelt über seine Affären mit Studentinnen und zweifelt trotz seines Lebensüberdrusses an seinem Mut zum Suizid, er unterhält sich mit Kollegen über die politische Situation und fragt sich, wie es mit ihm und Frankreich so weit kommen konnte. Die Bühne in Deutschlands größtem Sprechtheater ist an diesem Abend nur etwa einen Meter breit. Dahinter erhebt sich eine schwarze Wand, in die Bühnenbildner Olaf Altmann einen Hohlraum in Form eines riesigen Kreuzes eingelassen hat, das sich langsam dreht – Aktionsraum für Edgar Selge, der abgesehen von wenigen Accessoires ganz auf sich gestellt ist. Anfangs fällt es ihm sichtlich schwer, in die Rolle beziehungsweise die Rollen hineinzufinden, denn er spricht auch andere Charaktere wie François’ Geliebte Myriam und Professorenkollegen. Manchmal ist nicht erkennbar, wen er gerade spricht, was daran liegt, dass François nicht vor den Augen der Zuschauer lebt, sondern allein von seinem Leben und dem der anderen erzählt. Wie um die Wortlastigkeit der Inszenierung auszugleichen, spielt Selge in der ersten Hälfte sehr kraftvoll und clownesk. Mit zunehmender Erschöpfung des Schauspielers gibt es jedoch auch zarte, anrührende Momente, in denen François’ Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit aufscheinen. Am Ende legt François seine alte Haut ab, um mit der Konvertierung zum Islam in eine neue zu schlüpfen: die Chance auf ein zweites Leben. Zugleich verschwindet das Kreuz in den Hintergrund und die Zuschauer jubeln. Edgar Selge, der mit dieser Rolle eine Herkulesaufgabe übernommen hat, erntet begeisterten Applaus. Die tiefe Verstörung, die der Roman beim Leser auslöst, und damit auch ein Beitrag zur gesellschaftspolitischen Diskussion bleiben jedoch aus. Man darf auf die Premieren von „Unterwerfung“ am Staatsschauspiel Dresden und am Deutschen Theater Berlin (5. März und 22. April) gespannt sein. Termine —Weitere Aufführungen am 10., 16., 17. Februar und 3., 12., 16. und 26. März am Deutschen Schauspielhaus, Hamburg; —Karten unter www.schauspielhaus.de und Telefon 040/ 248713

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