Kaiserslautern Ein großer Wurf

91-79081502.jpg

Mit Spannung erwartet wurde der erste Ballettabend der Saison am Pfalztheater Kaiserslautern. Denn nach dem Ausscheiden des beliebten Ballettdirektors Stefano Giannetti, der neun Jahre lang die Compagnie geleitet hatte, werfen in diesem Jahr zwei Choreographer in Residence ihren Hut in den Ring: Katrin Hall und James Sutherland. Letzterer lieferte am Samstag mit dem Stoff von „Romeo und Julia“ zur Musik Prokofjews eine einprägsame Visitenkarte ab.

Was hat die Ballettsparte in Kaiserslautern in den vergangenen Jahrzehnten nicht alles erlebt: das spannende Tanztheater eines Olaf Schmidt in den 90ern, das traditionelle Ballett Eva Reinthallers, dann den Aufbruch mit dem Italiener Giannetti zwischen Klassik und Moderne und nun eben zwei Gäste, die die Compagnie in dieser Spielzeit leiten. Mit dem Schotten James Sutherland hat sich das Ensemble dabei einer neuen Herausforderung stellen dürfen. Einmal übersetzte Sutherland das Spielzeitmotto „Liebe! Versuch Liebe“ direkt in die abendfüllende Geschichte von Romeo und Julia, den Klassiker in Sachen Liebestragödie schlechthin. Wo Giannetti einen Abend gerne mit zwei kürzeren Choreographien, etwa zu Tschaikowsky und Sibelius („Liebesstürme“, 2012) oder Vivaldi und Piazzolla („Die Vier Jahreszeiten“, 2014), bestritten hatte oder ein Potpourri verschiedener Stücke (etwa von Chopin als Abschieds-Choreographie) ins Rennen geschickt hatte, statt dieser Kleingliedrigkeit nun also die große, zweieinhalbstündige (mit Pause) Form. Daneben ist dieses Ballett, so populär es inzwischen sein mag, nach wie vor ein Prüfstein in Sachen Emotionalität, was neben der dramatischen Geschichte vor allem auch in der hochemotionalen Musik Prokofjews begründet ist. Eine veritable Aufgabe also für die Tänzer und eine Neujustierung der Kaiserslauterer Balletttruppe im Ganzen. Und tatsächlich ist Sutherland, der bis 2015 Ballettdirektor in Pforzheim war, ein großer Wurf gelungen, wobei er die Compagnie weiter in Richtung modernes, zeitgemäßes Tanztheater führt. So punktet seine Choreographie über weite Strecken mit einer Emotionalität, die in ihren besten Momenten unweigerlich fesselt. Nicht nur in den Sterbeszenen entsteht dabei ganz großes Gefühlskino. Auch die überhitze Atmosphäre, die sich in den Kampfpassagen entlädt, kommt plastisch über die Rampe. Ebenso wie die Augenblicke des Liebessehens, des Liebesflehens und der Liebeserfüllung. Sutherland bedient sich eines zeitgemäßen Vokabulars, das neben klassischen Versatzstücken Ausdruckstanz, Akrobatik, bis hin zu fernöstlichen Tai-Chi-Elementen verschmilzt. Drastik und Humor scheinen nicht selten herauf. Zumeist im hohen Tempo treibt er die Handlung voran, die auch gerne am Boden stattfindet. Und nur selten bricht der Spannungsbogen ab, gibt es Leerlauf im Fortgang der Geschichte. Dass man an Herausforderungen wachsen kann, wird an diesem Abend deutlich. In Sachen Präzision hat sich einiges getan im Ensemble, ebenso wie in Sachen Konzentration und Kondition. Eine geschlossene Leistung auf hohem Niveau darf man der Truppe attestieren, wobei es dennoch herausragende Leistungen zu würdigen gilt: allen voran der kraftvolle Ermanno Sbezzo und die hinreißend expressive Risa Yamamoto als das Titelpaar – herzerweichend die Todesszene am Ende, die den Betrachter unweigerlich berührt. Aber auch Rollen wie die der Amme (Sayoko Hirano), der Lady Capulet (Laure Courau), des Mercutio (Michal Dousa) oder auch des Tybalt (Jean-François Gabet) sind trefflich besetzt, um nur einige zu nennen. Rodrigo Tomillo, zweiter Kapellmeister am Haus, treibt sein Orchester beherzt durch die zerklüfteten Gefühlslandschaften der Partitur. Volle Streicher verklingen im irisierenden Piano, Bläser bauen auch aus komplexeren Reibeklängen enorme Spannungsbögen: Es entsteht eine hochdramatische, hochverdichtete Tonsprache, die dem großen Thema in seinen vielen Facetten gerecht wird. Die Bühne von Verena Hemmerlein (auch Kostüme) hält sich minimalistisch zurück. Gleichzeitig eröffnet sie mittels Hubpodesten diverse Ebenen und Räume vom Balkon über Plätze und Straßen bis zum idyllischen Liebesgarten und schafft damit unaufdringlich Atmosphäre. Am Ende ist es ein Ballettabend mit Nachhall – und mit Beifallsbekundungen, wie sie in dieser Vehemenz sonst eher die Musicalsparte erlebt. Prädikat: sehenswert. Termine Am 18., 20. Februar, 11., 13., 16., 19. März, 12., 20., April, 12., 19. Juni, 8., 15. Juli, 20 Uhr, im Großen Haus; Karten unter 0631/3675-209 und www.pfalztheater.de.

x