Kaiserslautern Die Welt lebenswerter machen

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Man kann es schlechter treffen. Arbeiten in Wien, leben in Heidelberg. Es gibt hässlichere Städte auf dieser Welt. Cornelius Meister, 1980 in Hannover geboren, war einmal so etwas wie das Wunderkind am Dirigentenpult. Heidelberg verpflichtete ihn 2005 als damals jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands. Ein Fest für die PR-Strategen. Dabei braucht es diese für den Ausnahmedirigenten überhaupt nicht. Ein Porträt.

Heute leitet er das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, mit dem er zuletzt in Mannheim gastiert hat. Und dirigiert in Zürich, in Mailand, im Londoner Covent Garden, natürlich auch an der Wiener Staatsoper. Oder bei den Salzburger Festspielen. Ab 2018 folgt die Metropolitan Opera in New York. Gerade erst wurde er für seinen „Peter Grimes“ am Theater an der Wien mit dem International Opera Award ausgezeichnet. Eine Weltkarriere in unfassbar jungem Alter. Der Mann ist längst kein Versprechen mehr. Jedenfalls hat er bisher noch jedes gehalten. Eine außergewöhnliche Persönlichkeit am Dirigentenpult. Und er ist noch immer der freundliche, zuvorkommende, interessierte Gesprächspartner, der er schon zu seinen Zeiten als Generalmusikdirektor in Heidelberg war. Zum Gespräch in einem Café im Stadtteil Neuenheim kommt er mit dem Fahrrad. Entschuldigt sich, dass das Handy vielleicht klingeln könnte. Eines der Kinder hatte eine schlechte Nacht. Der Kindergarten könnte also anrufen. Tut er aber nicht. Stattdessen erzählt Cornelius Meister von Wien, von der Faszination dieser Musikmetropole: „Ich bin jeden Abend glücklich darüber, im Wiener Konzerthaus oder im Musikverein zu dirigieren, denn das A und O ist dann doch, wie es klingt, und diese beiden Säle haben einfach eine fantastische Akustik.“ Doch es ist nicht nur die Akustik, die einen Dirigenten an Wien fesselt und begeistert. Diese Stadt atmet die Tradition der abendländischen Musiktradition. Aus jeder Gasse, aus jeder Häuserzeile, aus jedem Caféhaus. „Es gibt in Wien eine ungebrochene Traditionslinie, manchmal habe ich das Gefühl, als könnte jetzt gleich Gustav Mahler oder Alban Berg um die Ecke kommen.“ Dabei war der Beginn am Chefpult von Österreichs einzigem Rundfunkorchester alles andere als einfach. Der Klangkörper war in seiner Existenz bedroht: „Ein Großteil meiner außermusikalischen Arbeit bestand zu Beginn darin, dieses Orchester strukturell auf gesunde Beine zu stellen. Das ist jetzt gelungen, und darauf sind wir alle auch ein bisschen stolz. Daher ist jetzt auch ein guter Zeitpunkt, meinen Vertrag über 2018 hinaus nicht zu verlängern, weil ich ein sehr gesundes Orchester verlassen werde.“ Es gibt in Wien die Philharmoniker, die vom Staat finanziert werden, dann die Symphoniker, die aus dem Etat der Stadt bezahlt werden, und eben das Rundfunkorchester. Dieses dritte Orchester ist das am stärksten mit der Zeitgenossenschaft verbundene der Stadt: „Wien war lange Zeit die Avantgarde, dann kamen Zeiten, wo die Gegenwartsmusik etwas aus dem Blickfeld geriet. Auch um das zu ändern, wurde das Wiener Radio-Symphonieorchester gegründet.“ Der Kontakt zum Kulturraum Mannheim, Heidelberg, Ludwigshafen ist für Meister nie abgerissen, nicht nur wegen der familiären Bindungen: „Ich beobachte das Kulturleben in der Region, und freue mich, dass es so ein breites Angebot hier gibt, auf das ich auch immer wieder angesprochen werde. Man beneidet die Rhein-Neckar-Region auch darum.“ Wer in Österreich arbeitet, der wird natürlich auch mit einer gesellschaftspolitischen Wirklichkeit konfrontiert, die am eigenen Weltbild ihre Spuren hinterlässt. Das Land, das zu Beginn der Flüchtlingskrise noch auf der Seite Deutschlands und Angela Merkels stand, macht gerade einen Rechtsschwenk, der selbst die AfD-Erfolge in Deutschland als Lappalie aussehen lässt. Abschottung heißt die Parole, mit der man es vielleicht sogar ins österreichische Bundespräsidentenamt schaffen kann. Meister hat dazu seine eigene Meinung, und der Mann, der sonst fast bescheiden auftritt, sagt dann auch sehr klar und entschieden: „Ich werde in anderen Ländern herzlich aufgenommen, und diese Herzlichkeit bemühe ich mich auch anderen Menschen, die bei uns sind, egal ob für einen Tag, ein Jahr oder für immer, zurückzugeben.“ Hier ist jemand fest verankert in einem christlich-humanistischen Weltbild, aus dem er eine klare Handlungsanweisung ableitet: „Ich habe nicht das Recht, Menschen, denen es erkennbar schlecht geht, die Sorgen um ihr Leben, um das ihrer Familie haben, zu sagen: ,Du darfst nicht hierher zu uns kommen.` Das widerspricht zutiefst meinem christlich geprägten Verständnis. Ich mag nicht zuschauen, wie es einem anderen Menschen schlecht geht.“ Doch die Zeiten sehen so aus, dass solche Positionen immer weiter zurückgedrängt werden sollen. Was kann die Kultur, was muss die Musik tun, um zu helfen, um Vorurteile zu überwinden, latenten Rassismus sprichwörtlich zu überspielen? „Unsere Aufgabe ist es, dass die Menschen, die zu uns ins Konzert, in die Oper kommen, dass die wieder nach Hause gehen und nachdenklich geworden sind. Wir können die Welt nur lebenswerter machen, wenn wir jeden überzeugt, nicht nur überredet oder gar mundtot gemacht haben.“ Cornelius Meister, der alle parteipolitischen Präferenzen von sich weist, wird dann doch sehr deutlich. Bezieht Stellung. Nimmt eine Haltung an. Eben kein Künstler im Elfenbeinturm. Wie auch, mit drei kleinen Kinder, die in dieser Gesellschaft aufwachsen sollen? Aber, zum Schluss, dann doch wieder zur Musik. Und vielleicht auch zu einem Versprechen: Ein Konzert von Cornelius Meister löst das Gesagte ein. Ganz unpolitisch. Mit der Partitur als einziger Schieds- und Richtstelle. Unberührt, kalt kommt da jedenfalls keiner raus, der sich seine Offenheit, seine Empfänglichkeit bewahrt hat. Das hat sich seit Meisters Zeiten in Heidelberg definitiv nicht verändert. Der immer noch so junge Dirigent schafft es, durch seine Art, Musik zu vermitteln, nicht nur das Orchester mitzureißen. Auch das Publikum schlägt er in seinen Bann. Egal, ob in Heidelberg, Wien oder Salzburg. Und ohnehin: Für Beethoven, für Mahler, für Mozart gibt es keine Außengrenzen. Da gibt es überhaupt keine Grenzen.

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