Kaiserslautern Die ganze Welt unter einem Dach

Sieben Jahre sind eine lange Zeit ohne ein Museum. Doch genau so lange hat es gedauert, bis die umfassende Sanierung des Hessischen Landesmuseums Darmstadt abgeschlossen war. Jetzt präsentiert sich das als Universalmuseum konzipierte Haus in neuer, zeitgemäß aufgefrischter Pracht.

Die Nachkriegszeit hat lange gedauert in Darmstadt. Man wanderte durch unlogische Raumfolgen, Wichtiges war aus Platzmangel weggeschlossen, der Bau wirkte marode, der zum Teil provisorische und mit unzureichenden Materialien durchgeführte Wiederaufbau der kriegsbeschädigten Immobilie erwies sich zunehmend als schwere Last. Im Oktober 2007 war die Schmerzgrenze erreicht, das Haus wurde geschlossen, es begann eine schier unendliche Geschichte böser Überraschungen, die gesamte Bausubstanz des zu Recht gerühmten Messel-Baus von 1906 war noch schlechter als erwartet. Das ist jetzt vorbei, das in schönstem Neo-Barock errichtete Gebäude präsentiert sich außen und innen in großartiger Verfassung. „Die ganze Welt unter einem Dach“, heißt es. Und genau das ist das Hessische Landesmuseum: ein Universalmuseum, in dem sich zwischen Kunst und Naturgeschichte das Wissen und die schatzbildende Leidenschaft von Jahrhunderten bündeln. Von der ursprünglichen Bauidee Alfred Messels (dem der Darmstädter Auftrag die Ernennung zum Generalplaner der Berliner Museumsinsel und Architekten des Pergamonmuseums einbrachte) wurde an Sichtachsen, Raumeindrücken und Wegeführungen so viel wie möglich hergestellt. Verschlossene Innenhöfe sind wieder geöffnet. Man hat die repräsentative Eingangshalle von störenden Möblierungen erlöst. Für die anschließenden Abteilungen Archäologie und Mittelalter wurden die ehemaligen Stilräume mit viel Glück rekonstruiert; es sind die schönsten im Haus: rechter Hand der Säulensaal mit dem römischen Bodenmosaik aus Bad Vilbel, nun passend ergänzt durch einen Studienraum zur Antikenrezeption des 18. und 19. Jahrhunderts, in dem die weltberühmten Korkmodelle von Antonio Chichi einen angemessenen Platz gefunden haben. Fast noch beeindruckender auf der anderen Seite der in seinen Originalzustand zurückversetzte romanische Gang mit dem monumentalen Brauweiler Bogen, einem Hauptwerk der Kölner Romanik, und der gotischen Kapelle, in dem die mittelalterlichen Skulpturen, die wieder vor die historischen Fensteröffnungen montierten Spitzenstücke der Glasmalerei und exquisite Beispiele kirchlicher Schatzkunst paradieren dürfen – zu nennen wären das frisch restaurierten Darmstädter Turmreliquiar vom Ende des 12. Jahrhunderts oder das um 800 entstandene Elfenbein-Fragment einer Himmelfahrt. Nicht minder prächtig die gold- und kristallfunkelnde Kunst- und Wunderkammer, in der sich das Erbe vieler hessischer Landgrafen und Großherzöge sammelt. Immer wieder ausgetauscht werden die als „Darmstädter Wämser“ bekannten, sehr seltenen Kostümteile aus dem 17. Jahrhundert, die 1805 mit der Schenkung des Kölner Barons von Hüpsch ins Haus kamen. Im als spätgotische Halle ausgeführten Waffensaal gibt’s dann Waffen und Rüstungen satt, witzig angerichtet als Catwalk. Warum? Nun, werden wir belehrt, auch die „Eisenkleider“ waren wechselnden Moden unterworfen. Die Gemäldegalerie ist mit 400 Bildern in den 1984 fertiggestellten Erweiterungsbau von Reinhold Kargel umgezogen, der einmal für die ins Frankfurter MMK abgewanderte Sammlung Ströher bestimmt war; eine verpasste Chance, bei der wir gleich an die „Darmstädter Madonna“ denken müssen, die am Ende in der Sammlung des Schraubenfabrikanten und Kunstsammlers Reinhold Würth gelandet ist. Als Gemäldegalerie macht sich der aus heterogenen Quellen gespeiste Bestand vorzüglich. Die mittelalterlichen Altarbilder, nicht nur die uralten „Wormser Tafeln“ von 1250 oder Meister Lochners anmutige „Darbringung“, sind ein absolutes Muss. Man freut sich über die Wiederbegegnung mit Rubens’ in üppiger Fleischlichkeit prangender „Diana“, über den zum Reinbeißen schönen Aprikosenzweig von Georg Flegel und über die Rückkehr der stillen Darmstädter Romantiker. Eindrucksvoll auch die Böcklin-Gruppe, die aus dem Erbe des mit dem großherzoglichen Museumsgründer Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein befreundeten Maximilian von Heyl stammt und die zweitgrößte nach der im Kunstmuseum Basel ist. Von den drei Iphigenien Anselm Feuerbachs ist die Darmstädter von 1862 die schönste – die beiden (bis 14. Dezember) als freundliche Leihgaben aus Stuttgart und Düsseldorf angereisten Versionen beweisen es. Den Beweis, dass der grotesk verwinkelte und aus Kostengründen nicht abgerissene Kargel-Bau unbedingt galerietauglich sei, kann das Museum freilich nicht erbringen. Bei der Vorbesichtigung sah man manchen Kollegen hilflos nach dem Ausgang suchen. Wenig Freude werden Beuys-Liebhaber angesichts der frisch geweißelten Räume für den legendären „Block Beuys“ empfinden. Man hielt die schmuddelige Sackleinen-Wandverspannung für nicht authentisch (was von kompetenten Leuten bestritten wird), also musste sie weg. Der Kontrast zu den poveren Vitrineninhalten ist grausam. Jetzt ist er wirklich tot, der Beuys, hat einer gesagt. Immerhin gibt es auf der gleichen Etage schöne Räume für die Graphische Sammlung, die sich mit einer Auswahl von „best ofs“ eindrucksvoll zurückmeldet, was man vom „Skulpturenwald“ der überschätzten Sammlung Spierer nicht behaupten will. Großartig wie erwartet die perfekt aufgebaute Sammlung zum internationalen Jugendstil. Auch die hochbedeutenden Darmstädter Sammlungen zu Geologie, Paläontologie, Messel-Funden, Mineralogie, Zoologie haben gewaltig aufgerüstet. Das Mastodon steht – frisch gestrichen – immer noch da, wo Beuys es sehen wollte. Die an totem Getier schier überbordenden zehn zoologischen Dioramen wirken neu und wie aus dem Ei gepellt, es gibt zur Demonstration der Unbeständigkeit und des beständigen Wandels in der Natur jetzt eine Skelettherde und eine raumfüllende Großvitrine, in der man die Baupläne vom mehr als 800 tierischen Organismen studieren kann. Es ist also wirklich „die ganze Welt unter einem Dach“, die man im neuerstandenen Hessischen Landesmuseum durchwandern kann. Gerne lässt man sich da zu Superlativen hinreißen. Und darüber staunen, dass von gut einer Million gezählten Sammlungsstücken nur etwa ein Zehntel gezeigt werden kann. Selbst der Direktor gibt zu, nicht alles gesehen zu haben.

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