Kaiserslautern Design für Arme

Zum Beispiel das Billy-Regal. Es besitzt autobiografische Relevanz für viele, ach was, die meisten. Und der zugehörige Inbusschlüssel gehört als Ikone des Scheiterns zum emotionalen Inventar zumindest eines Mitteleuropäers dazu. Seit Generationen. Dennoch dürfte kein Produkt des schwedischen Unternehmens Ikea so ans Existenzielle rühren wie „Better Shelter“. Es wird – typisch – in zwei Kisten angeliefert, zusammen 160 Kilogramm schwer, anbei das Zubehör, die obligatorischen Schrauben etcetera, dazu die Baupläne. Die Stahlrahmen zusammenfügen, das Dach und die Wandpaneele aus Kunststoff andocken, Tür und vier Fenster einsetzen, Bodenverkleidung hinein – fertig. Bei vier Personen, die mithelfen, sind für den Aufbau vier Stunden vorgesehen. Dann steht das Haus mit flachem Satteldach. 17,5 Quadratmeter groß, konzipiert für fünf Leute. „Better Shelter“ hat eine verschließbare Tür, Solarzellen für Strom, Ventilatoren, Licht, eine Ladestation für das Mobiltelefon. Kosten insgesamt, rund 1000 Euro, Tendenz fallend. Gewinn wird damit nicht gemacht. Entwickelt hat die provisorische Unterkunft die nicht-kommerzielle Ikea-Foundation. Einsatzort, da, wo das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) aktiv ist, also beinahe überall. In Äthiopien, dem Irak, auf Lesbos, in Mazedonien, dem Jemen, in Eritrea, Deutschland. Nur in der Schweiz genügt das Teil den Brandschutzbestimmungen nicht. Seit 2015 werden Tausende der Häuser jeden Monat ausgeliefert. Rund 67 Millionen Menschen weltweit, heißt es in der UNHRC-Statistik, sind Geflüchtete oder suchen Asyl, ein Dach über dem Kopf. Die meisten davon müssen, oft über Generationen, in Flüchtlingscamps hausen. In notdürftigen Zelten oft, die von Regenwasser überschwemmt werden, Privatsphäre, null. Bei „Better Shelter“ ist das anders. „Es ist tausend mal besser, darin zu leben“, sagt zum Beispiel Saffa Hameed, ein Flüchtling aus Ramadi, der im Al Jamea’a Flüchtlingscamp in Bagdad untergekommen ist. Einer der ersten, die das Ikea-Haus 2015 getestet haben. Er wird auf einer eigenen „Better Shelter“-Netzseite zitiert, die Geschichten und Bilder aus den Einsatzgebieten sammelt. Genauso wie ein junger Syrer, den es in ein Camp in Erbil im Irak verschlagen hat. „Man muss sich nicht bücken wie im Zelt, hat eine Tür zum Abschließen und kann ein Fenster öffnen wie zu Hause“, sagt er. Ein Foto auf der Netzseite zeigt eine Familie, die in einem zaghaft verschönerten „Better Shelter“-Haus vor dem Fernseher sitzt. Fast würdevoll. Oder lachende Kinder in Äthiopien, im Hintergrund eine kleine Siedlung mit der Bausatz-Architektur. Begonnen hat das Ganze als kleines Projekt junger schwedischer Designer. Ausgangsfrage: Wie können wir eine Unterkunft für Flüchtlinge gestalten, die länger hält als ein Zelt, aber ähnlich günstig zu produzieren ist? Schnell kam Ikea ins Spiel – genauer: die Ikea-Foundation, die Stiftung des Möbelgiganten, die sich für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) engagiert. Sie tat sich mit den jungen Leuten zusammen, so ist „Better Shelter“ entstanden. Inzwischen steht ein Exemplar auch in der Designsammlung des New Yorker Museum of Modern Art. Oder im Londoner Design Museum, in dem zurzeit die Wettbewerbsausstellung zu den renommierten Beazley Design Awards gezeigt wird. „Better Shelter“ ist dort jetzt zum Hauptsieger aller Kategorien gekürt worden, unter Architektur-Projekten, Modeentwürfen, Grafik- oder Produktdesign, insgesamt 70 Teilnehmern der Endrunde und den Siegern der einzelnen Kategorien. Wohl auch wegen der Dringlichkeit. Ein Erfolg auf traurigem Fundament eigentlich. Das auf das Notwendige beschränkte Minihaus, das jetzt auch ein Design-Objekt ist, hat sogar die New Tate Modern der Elbphilharmonie-Architekten Herzog & de Meuron überboten. Oder die Fondazione Prada in Mailand von Rem Koolhaas. Bauten für die Ewigkeit. „Better Shelter“ soll drei Jahre halten. Ein Sechstel der Zeit, die Flüchtlinge durchschnittlich in Lagern bleiben, übrigens. Informationen —www.bettershelter.org —Die Schau zum Wettbewerb Beazley Designs of the Year im Londoner Design Museum läuft noch bis 19. Februar (https://designmuseum.org)

