Kaiserslautern Der Willkür gelassen begegnet: Lebensgeschichte von Jakob Martens neu herausgegeben

Berthold Kliewer mit Werken über Russlandmennoniten. Der gebürtige Argentinier hat die Aufzeichnungen seines Onkels überarbeitet
Berthold Kliewer mit Werken über Russlandmennoniten. Der gebürtige Argentinier hat die Aufzeichnungen seines Onkels überarbeitet und neu herausgegeben.

„Am Ende die Freiheit“ lautet der Titel der Neuerscheinung über die Lebensgeschichte von Jakob Martens. Berthold Kliewer, ehemaliger Leiter des Klassischen Chores der TU Kaiserslautern, hat die Aufzeichnungen seines Onkels jetzt herausgegeben. Ergänzt durch Fotos, Karten und die Darstellung der Zeitumstände ist etwas Lesenswertes entstanden.

Herausgerissen aus der wohlbehüteten Welt einer deutsch-mennonitischen Siedlung in der Ukraine, tritt Martens eine abenteuerliche Flucht an. Die deutschfeindliche Stimmung im Ersten Weltkrieg und die Verfolgung wohlhabender Bauernfamilien im revolutionären Russland ziehen ihn in einen Strudel willkürlicher Hetzjagd. Er lässt sich in bewundernswerter Weise von den Gefängnissen und Arbeitslagern der entstehenden Sowjetunion nicht unterkriegen. Nach Jahren willkürlicher Drangsalierung in Russland schafft er den Sprung in die südamerikanische Freiheit.

Der 1897 geborene Martens erzählt seinen Lebensweg selbst. Der lakonische Grundton nimmt den Leser unwillkürlich gefangen, weil der von den Zumutungen der Zeitumstände für ihn persönlich nicht viel Aufhebens macht. Er beobachtet sehr genau und berichtet mit äußerster Sachlichkeit. Dabei wird schnell klar, dass seine Sichtweise durch und durch geprägt ist von den Grundsätzen mennonitischer Lebensauffassung. Deutlich wird dies immer wieder durch die innige Freude an dem Leben in dieser Gemeinschaft und ihren Festtagen. Eine alles überragende Bedeutung kommt dabei im Denken und Fühlen seinem Verhältnis zur Arbeit zu.

Mit festem Glauben und ohne Zweifel am harten Alltag

Der Grund für die wachsende Sympathie beim Lesen liegt vor allem darin, dass er seine Glaubens- und Lebenseinstellung nicht wie eine Monstranz vor sich herträgt. Seine Beobachtungen und Formulierungen transportieren wie selbstverständlich sein Lebens- und Arbeitsethos. „Wir sind in der Erntezeit 1915. Mit anbrechender Morgenröte müssen wir bereits aus den Federn und dann geht es bis in den späten Abend. Es gilt, die Ernte, die gut ausgefallen ist, bei günstigem Wetter einzubringen. Zum Schlafen bleibt dann freilich wenig Zeit. Und so geht es eine Woche um die andere. (…)“ Die Zumutungen und die Mühen des Alltags sind hier sehr präsent. Aber in sprachlicher Hinsicht wird auch deutlich, dass dem Erzähler nicht der geringste Zweifel in den Sinn kommt. Und selbstverständlich liegt die mentale Stärke Martens’ begründet in seinem mennonitischen Weltbild. Aber ist es zu weit hergeholt, sich diese Einstellung auch in der heutigen Krisenzeit zum Vorbild zu nehmen? Dabei kommt es nicht in erster Linie darauf an, ob der Glaube zu einer psychischen Stabilität verhilft. Auch die Zuversicht, dass zusammen mit fleißigen und vernünftigen Mitbürgern der Weg aus der Talsohle gelingen kann, hilft schon.

Vorbild für den Leser von heute, um schwere Zeiten zu überstehen

Jakob Martens ist ein bemerkenswert gelassener Mensch. Die Stationen des langen Leidensweges von der Verbannung aus der landwirtschaftlich geprägten Heimat bis hin zu Haft und Arbeitslager im jungen Sowjetstaat beschreibt er so sachlich, dass der Text fast zum historisch verwertbaren Bericht wird. Er erfährt am eigenen Leib, was Klassenkampf heißt, der zur Befreiung aller Werktätigen führen soll. Als Kulak, als erfolgreich wirtschaftender Landwirt, wird er zum Klassenfeind. Es ist gut zu verstehen, dass er für jegliche ideologische Verbrämung von Unrecht lediglich seine spezielle Art von Humor übrig hat.

„Die Tage der großen Oktoberrevolution jähren sich wieder. Auch wir Verbannten müssen mitfeiern. Eisiger Wind aus dem Polargebiet dringt durch alle Poren. Der Redner spricht von den großen Errungenschaften der Oktoberrevolution. Zu unserem Trost erfahren wir, was wir bisher noch nicht wussten. Man hat uns nicht zur Strafe an diesen öden Ort gebracht, sondern zwecks Umerziehung zur klassenlosen Gesellschaft. Moralisch gestärkt kehren wir heilfroh in unsere Zelle zurück.“ Mit dieser Contenance übersteht Martens seinen völlig unverschuldeten Leidensweg und schafft es in ein selbstbestimmtes Leben. Der heutige Leser kann ihn sich als Vorbild nehmen, um in schweren Zeiten nicht den Mut zu verlieren.

Info

Berthold Kliewer liest aus dem Buch am Samstag, 10. Dezember, 19 Uhr, im Theodor-Zink-Museum. Die musikalische Untermalung übernimmt Klaus Demuth am Klavier.

Das überarbeitete Buch, die Lebenserzählung von Jakob Martens, kann jetzt erworben werden.
Das überarbeitete Buch, die Lebenserzählung von Jakob Martens, kann jetzt erworben werden.
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